Verhaltensforschung Spüren Hummeln Schmerzen? Eine Studie stellt alte Gewissheiten infrage

Eine Hummel auf den Fingerkuppen eines Menschen
Zunehmend stellt die Verhaltensforschung alte Gewissheiten über Insekten infrage. Ein beliebtes Forschungsobjekt: die Hummel 
© Alamy Stock Photos / BikejBarakusss / mauritius images
Verbrennt man die Antennen einer Hummel, reibt sie ihre Verletzungen. Auf Basis dieser Beobachtung widersprechen Forschende der Annahme, Insekten empfänden keine Schmerzen 

Insekten können weder laut aufschreien noch leise jaulen. Ob sie Schmerzen spüren, müssen Forschende deshalb über Beobachtungen herausfinden. Das hat ein Team der Queen-Mary-Universität in London nun getan. 

Die Forschenden teilten 82 Erdhummeln (Bombus terrestris) in drei etwa gleich große Gruppen. 30 Tiere wurden einzeln auf einem Schwamm fixiert, dann drückten die Forschenden einen 65 Grad Celsius heißen Lötkolben für fünf Sekunden auf eine ihrer Antennen. 28 weitere Hummeln mussten die gleiche Prozedur erdulden, allerdings mit kaltem Lötkolben. Die verbliebenen 24 Hummeln hatten Glück und fungierten als Kontrollgruppe.

Zwei Minuten lang rieben die verletzten Hummeln ihre Antennen

Die vorher markierten Hummeln wurden anschließend in eine Beobachtungsbox geleitet und 25 Minuten lang gefilmt. Eine Videoanalysesoftware wertete die Aufnahmen aus und zeigte: In den ersten zwei Minuten nach der Verbrennung rieben diejenigen Hummeln, die verletzt worden waren, ihre Antennen weitaus häufiger als die Hummeln der beiden anderen Gruppen. In den folgenden 23 Minuten gab es keine signifikanten Unterschiede. Dieses Reiben, als "wiederholte Hin- und Herbewegung" eines Beins an der verletzten Stelle definiert, interpretierten die Forschenden als Schmerzreaktion. 

Bislang habe keine Studie experimentell geprüft, ob Insekten schmerzhaft gereizte Stellen reiben, schreiben die Forschenden um Erstautorin Matilda Gibbons. Dieser Mangel an Beweisen sowie anekdotische Berichte über Insekten, die auf andere Weise kein selbstschützendes Verhalten zeigen, seien in der Vergangenheit häufig als Argument verwendet worden, dass Insekten keinen Schmerz empfänden. 

"Unsere Ergebnisse jedoch liefern einen klaren, quantitativen Beweis für selbstschützendes Verhalten bei Insekten", argumentieren die Forschenden. Zugleich jedoch betonen sie, dass ihre Studie allein keinerlei Beweis dafür liefere, dass Insekten tatsächlich Schmerzen empfinden. Allerdings gleiche deren Verhalten in der herbeigeführten Situation demjenigen von Tieren, die gesichert Schmerzen empfinden können. 

In anderen Experimenten zeigten sich Hummeln geradezu ängstlich

Die Forschungsgruppe um Gibbons wird von Lars Chittka geleitet. Immer wieder ließ der Professor für Sinnes- und Verhaltensökologie mit seiner Forschung alte Gewissheiten in sich zusammenfallen. Bei Intelligenztests mit Bienen und Hummeln fand er heraus, dass sie sich wie vernunftbegabte Wesen verhalten. Die Insekten verfügen über ein individuelles und autobiografisches Wissen, können die Konsequenzen ihrer Handlungen abschätzen, besitzen Basisemotionen und Intelligenz

Auch versetzte Chittka Hummeln immer wieder in Situationen, die für sie bedrohlich waren. Danach zeigten sie sich vorsichtiger, geradezu ängstlich. "Wir haben gerade erst angefangen, zu erkunden, ob wir bei Insekten von Emotionen sprechen können", sagt Chittka. 

Die nun von seiner Arbeitsgruppe veröffentlichte Studie zum Schmerzempfinden von Hummeln wurde noch nicht dem Prozess des Peer-Reviews unterzogen, also noch nicht von Fachkolleg*innen geprüft.

mat