Es sind recht gruselige Daten, die das Florida Museum of Natural History Jahr für Jahr herausgibt. Zahlen, die unsere Urängste wecken. Im International Shark Attack File (Isaf), einem wissenschaftlichen Archiv, dokumentieren Experten sämtliche Haiangriffe auf Menschen weltweit. Der Jahresbericht der Forschenden, der gerade publiziert wurde, konzentriert sich dabei vor allem auf jene Attacken, bei denen Haie unprovoziert zugebissen haben. In Situationen also, in denen sich Schwimmer nicht aktiv den Fischen genähert haben oder etwa in Gewässern unterwegs waren, in denen Köder zum Anlocken von Haien genutzt wurden.
Für das Jahr 2023 vermeldete das Isaf 69 unprovozierte Haiangriffe auf Menschen – und damit sechs mehr als im Schnitt der letzten fünf Jahre. Zehn der Attacken verliefen tödlich. In Australien kamen vier der Gebissenen ums Leben, zwei Todesfälle ereigneten sich in den USA, jeweils einer in Ägypten, auf den Bahamas, in Mexiko und in Neukaledonien. Weitere nicht tödliche Bisse fanden unter anderem vor der Küste Costa Ricas, Kolumbiens, Brasiliens, Neuseelands, Südafrikas und auf den Seychellen statt.
Die Haie verhalten sich nicht anders als früher, sind weder hungriger noch aggressiver
Zwar seien die Todesfälle im vergangenen Jahr etwas beunruhigend und doch lägen die Zahlen der Bisse insgesamt im erwartbaren Bereich, sagt Gavin Naylor, Direktor des Haiforschungsprogramms am Florida Museum of Natural History.
Denn der Trend, das zeigt ein Blick auf die Statistiken der letzten Jahre und Jahrzehnte, steigt kontinuierlich an: Wurden zwischen 1980 und 1989 noch 226 Menschen von Haien gebissen, waren es in den 1990er Jahren bereits 500, im nächsten Jahrzehnt 661 und zwischen 2010 und 2019 dann 799 Menschen. Die Ursache hierfür liegt allerdings nicht bei den Haien. Die Fische verhalten sich keinesfalls anders als zu früheren Zeiten, sind weder hungriger noch aggressiver. Vielmehr sind Meldungen über Bisse im Laufe der Dekaden zunehmend in den Fokus gerückt und damit auch in die Datenbank eingeflossen. Und: Jedes Jahr halten sich mehr und mehr Menschen im Meer auf. Und damit geschehen die Unglücke rein statistisch gesehen schlichtweg häufiger.

Ein weiteres Kriterium ist offenbar die Wassertemperatur, denn in den Sommermonaten auf der Nord- oder Südhalbkugel kommt es häufiger zu Bissen: Die Haie sind im wärmeren Wasser aktiver. Und so kann die Erklärung für einen lokalen Anstieg der Vorfälle einfach darin begründet sein, dass ein Feiertagswochenende mit einer Hitzewelle zusammenfällt.
Dass Haie überhaupt auf Menschen losgehen, ist in den allermeisten Fällen einem Irrtum seitens des Fisches geschuldet – einer Verwechslung mit seiner natürlichen Beute, etwa einer Robbe. So ereigneten sich drei der tödlich verlaufenden Bisse in den Gewässern der Eyre-Halbinsel im Süden Australiens. Die wilden Küsten dort mit ihren spektakulären Wellen sind bei vielen Surfern beliebt – und Lebensraum zahlreicher Robben und Weißer Haie.
Die Meeressäuger sind überaus wendig und können mühelos einem Weißen Hai entkommen, wenn sie ihn denn bemerken. Doch Robben lieben es auch, an der Wasseroberfläche herumzutollen, aus den Wogen zu springen und im Spiel ihre Vorsicht zu vergessen. Eben nach solchen Tieren halten die Haie Ausschau. "Und genau so sieht ein Surfer aus", sagt Gavin Naylor. Nicht zufällig gehören die Wassersportler zu jener Gruppe, die im Jahr 2023 mit 42 Prozent der Fälle die meisten Bisse verzeichnete.
Meist erkennt ein Hai sehr schnell, dass er sich vertan hat – und schwimmt sofort davon
So handelt es sich aber bei der überwiegenden Zahl der unprovozierten Attacken gewissermaßen um Kostproben: Der Hai testet die mutmaßliche Beute, erkennt meist sofort, dass er sich vertan hat und schwimmt davon. Nur äußerst selten kommt es dazu, dass ein Hai weitere Male zuschnappt. Allerdings sind die Wunden, die Weiße Haie oder auch Tigerhaie teils mit einem einzigen Biss reißen, so schwerwiegend, dass Betroffene daran sterben können.
Den meisten von uns jagt allein der Gedanke eines Haiangriffs einen eiskalten Schauer über den Rücken. Und spätestens seit dem Blockbuster "Der weiße Hai" von 1975 hat sich das Grauen aus der Tiefe weltweit in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Doch die Furcht vor den vermeintlich so gefährlichen Raubfischen ist gänzlich übertrieben, die Risikoeinschätzung viel zu hoch. Denn die Wahrscheinlichkeit, von einem Hai gebissen zu werden, ist und bleibt verschwindend gering. Weit berechtigter wäre es zum Beispiel, Angst davor zu haben, vom Blitz getroffen zu werden: Allein in Deutschland passiert das rund 200 Menschen im Jahr, wobei etwa sieben Betroffene an den Folgen sterben.