Neue Fossilien Bereits vor 500 Millionen Jahren eroberten Quallen das freie Meer

Illustration einer rötlichen Qualle mit kurzen Tentakeln
Tentakeln wie Teppichfransen: Illustration der neu entdeckten Art Burgessomedusa phasmiformis
© Christian McCall / dpa
Als glibberige Wasserwesen hinterlassen Quallen nur wenige fossile Spuren. Im kanadischen Burgess-Schiefer fanden Forschende nun außergewöhnliche detailreiche Versteinerungen aus dem Cambrium. Sie zeigen Tiere mit glockenförmigem Schirm und fransengleichen Tentakeln – und damit die früheste je entdeckte Spezies, die nachweislich frei durchs Meer schwebte

In Kanada haben Forscher den ältesten eindeutigen Vertreter frei schwimmender Quallen entdeckt. Die bisher unbekannte Art Burgessomedusa phasmiformis lebte vor 505 Millionen Jahren und zählt zu den sogenannten Medusozoa. Diese Gruppe bildet in ihrem komplexen Lebenszyklus ein Stadium als Medusa, umgangssprachlich Qualle genannt. Zu ihnen zählen etwa Würfelquallen (Cubozoa) und Schirmquallen (Scyphozoa). Sie alle haben auch eine sessile Lebensphase, in der sie als Polyp am Meeresgrund verankert sind.

Fossilien von Quallen sind selten und zudem schwer zu interpretieren, weil die glibberigen Tiere zu über 95 Prozent aus Wasser bestehen und keine Hartteile enthalten. Deshalb hinterlassen sie kaum Spuren im Stein. Das Team um Jean-Bernard Caron vom Royal Ontario Museum in Toronto analysierte nun Fossilien aus dem sogenannten Burgess-Schiefer in den kanadischen Rocky Mountains, einer der bedeutendsten Lagerstätten weltweit für Fossilien früher Tiere.

90 fingerartige Tentakeln fingen Beute

In den "Proceedings B" der britischen Royal Society beschreibt das Team die nach der Fundstelle benannte Burgessomedusa-Art, von der etwa 170 Fossilien bekannt sind. Die Qualle hat demnach einen glockenförmigen Schirm, der bis zu 20 Zentimeter hoch und bis zu etwa 8 Zentimeter breit ist. Vom Rand des Schirms gehen mehr als 90 kurze fingerartige Tentakeln aus, die zum Beutefang dienen. Mittig unter dem Schirm hängt – wie bei heutigen Quallen auch – ein länglicher Magenstiel, das sogenannte Manubrium, samt Mundöffnung am unteren Ende. 

Steinplatte mit Fossil einer kleinen und einer großen Qualle
Die Fossilien aus dem kanadischen Burgess-Schiefer zeigen deutlich die kurzen Tentakeln von Burgessomedusa phasmiformis
© Jean-Bernard Caron, Royal Ontario Museum / dpa

B. phasmiformis sei die früheste eindeutig frei schwimmende Medusa, die bisher bekannt sei, schreibt die Gruppe. Möglicherweise handele es sich um eine sehr frühe Form der Würfelquallen (Cubozoa) oder einer ähnlichen Gruppe. 

Bei zuvor beschriebenen anderen Fossilien aus China und aus dem US-Bundesstaat Utah, die als Quallen diskutiert wurden, handele es sich dagegen wahrscheinlich um Tiere, die Rippenquallen (Ctenophora) ähneln. Dies seien keine echten Quallen, betont die Gruppe und verweist auf etliche anatomische Unterschiede und insbesondere auf das Fehlen von Tentakeln.

Die Zeitgenossen der Qualle: Pfeilwürmer und räuberische Gliederfüßer

Quallen entwickeln sich in ihrem Lebenszyklus vom befruchteten Ei zu einer Larve, die sich am Untergrund festsetzt, wächst und zu einem Polypen wird. Von diesem löst sich die Medusa - die eigentliche Qualle -, die dann durch das Meer treibt. 

Die Forschenden werten neue Spezies als Beleg für den Artenreichtum schon vor mehr als einer halben Milliarde Jahre. Im Kambrium, das vor grob 545 Millionen Jahren begann, entstanden innerhalb kurzer Zeit viele Tierstämme, die bis heute existieren. Vor 505 Millionen Jahren habe es in den Meeren bereits etliche Gruppen räuberisch lebender Tiere gegeben, darunter Pfeilwürmer (Chaetognatha) und diverse Vertreter der Gliederfüßer (Arthropoda) wie die garnelenartige Art Anomalocaris canadensis. Diese taucht in manchen Abdrücken des Burgess-Schiefer sogar in direkter Nachbarschaft zu B. phasmiformis auf.

Walter Willems

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