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Lebensmittelproduktion Chemie in der Nahrung

Warum manche Tomatensuppen nicht eine einzige Tomate enthalten, womit "Füllstoffe" uns täuschen sollen - und welche Rolle "Schaumverhüter" und "Antischnurrmittel" spielen

Im Mai 2008 wurde in Hamburg ein weltweit einzigartiges Ausstellungshaus eröffnet: das "Deutsche Zusatzstoffmuseum". Seine Räume sind ausschließlich jenen Chemikalien gewidmet, die sich mittlerweile als Beimischung in unseren Lebensmitteln finden. Mehr als 160 von ihnen werden in dem Museum vorgestellt. Die Gesamtzahl der Substanzen, die unserer Nahrung heutzutage hinzugefügt werden, geht jedoch in die Tausende. Allein 321 Zusatzstoffe sind derzeit in der EU zugelassen. Hinzu kommen mehr als 2500 Aromastoffe und weitere Substanzen, die bei der Herstellung von Nahrungsmitteln eine Rolle spielen, sowie Hilfsstoffe und Zusätze zur Nahrungsergänzung.

Was ist eigentlich drin im Essen? Und warum? Erstaunliche Antworten auf diese Fragen bietet das Deutsche Zusatzstoffmuseum. Im Podcast führt Leiter Christian Niemeyer durch die Ausstellung

Ingesamt 17 verschiedene Gruppen von Zusätzen werden in den Regalen des Zusatzstoffmuseums präsentiert, darunter Farb-, Konservierungs-, Aroma- und Zuckeraustauschstoffe sowie Verdickungsmittel, Füll- und Trägerstoffe, zudem Vitamine und Antioxidantien, die den Abbau empfindlicher Inhaltsstoffe verhindern, und sogenannte Emulgatoren, die helfen sollen, nicht mischbare Substanzen in einem Lebensmittel miteinander zu verbinden. Doch weshalb mixen die industriellen Hersteller eine solche Vielzahl an Chemikalien ins Essen, während unsere Vorfahren noch fast ohne solche Verbindungen auskamen? Verbessern die Stoffe die Qualität der Nahrung und nützen dem Verbraucher? Oder ermöglichen sie vielmehr den Lebensmittelkonzernen eine vereinfachte, kostengünstige Produktion - und gefährden gar die Gesundheit der Konsumenten?

Lebensmittelproduktion: 42 Lebensmittelfarbstoffe sind in der EU zugelassen - von Allurarot AC (E 129) bis Zuckerkulör (E 150); selbst Gold (E 175) ist darunter
42 Lebensmittelfarbstoffe sind in der EU zugelassen - von Allurarot AC (E 129) bis Zuckerkulör (E 150); selbst Gold (E 175) ist darunter
© David Marsden/Photolibrary/Getty Images

Die ersten Zusatzstoffe sollten haltbar machen

Der älteste Grund, Lebensmittel mit fremden Substanzen zu versetzen, dürfte der Wunsch der Menschen gewesen sein, die Nahrung gegen Gärung, Schimmel und Fäulnis zu schützen. Schon die Köche der Antike erkannten, dass Substanzen aus dem Rauch eines Holzfeuers sowie Salz halfen, Fleisch länger genießbar zu machen. Auch zur Verbesserung des Geschmacks und des Aussehens gaben die Menschen Zusatzstoffe in ihre Lebensmittel. Von den alten Ägyptern ist bekannt, dass sie Nahrungsmittel mit Safran gelb färbten. Und die Menschen im antiken Rom werteten sauren Wein auf, indem sie ihn mit eingedicktem Traubensaft versüßten. Den kochten sie in Bleikesseln ein, wobei sich die Fruchtsäuren mit dem Blei zum äußerst giftigen Bleiacetat verbanden. Die Folge der schleichenden Vergiftung waren gravierende Nervenschäden, die zu Schwindel, Depressionen, epileptischen Anfällen und sogar zu geistiger Umnachtung führten.

Im 18. Jahrhundert setzten Menschen giftige Verbindungen (von Arsen, Antimon, Quecksilber und Blei) ein, um Süßigkeiten zu färben und leckerer aussehen zu lassen. Blattgemüse und Gurken wirkten dank Kupfervitriol, Fleisch dank Aluminiumsalzen frischer. Anilinfarben ließen die Kiemen toter Fische so intensiv rot aufleuchten, als wären sie gerade gefangen worden, Käse wurde mit Metallsalzen appetitlich gefärbt und durch Tränken in Urin zu schnellerer Reife gebracht. Der Gesundheit waren viele dieser Stoffe und Verfahren nicht zuträglich, doch war das Bewusstsein für die Gefährdung der Menschen noch kaum ausgeprägt, und es fehlten meist die Möglichkeiten zur Kontrolle und Analyse. Völlig neue Anforderungen an die zugesetzten Substanzen aber stellte die industrielle Verarbeitung der Lebensmittel, die im 19. Jahrhundert begann.

Der Geschmack der Maschinen

Mit dem Aufkommen von Konservendosen, Tütensuppen, Tiefkühlkost und Fertiggerichten wurde es immer wichtiger, dass sich die Lebensmittel von Maschinen verarbeiten lassen sowie über lange Zeit lecker aussehen, in ihrer Konsistenz stabil bleiben und dennoch gut schmecken. Deshalb sind auch heute noch Stoffe im Einsatz, von denen der Konsument in der Regel nichts ahnt - und häufig auch nichts erfährt, weil längst nicht alle auf der Verpackung vermerkt werden müssen. Eine aus der Tüte gezauberte "Tomatensuppe mit Fruchtfleisch" etwa muss keineswegs echte Tomaten enthalten, sondern die darin aufquellenden Teilchen können aus Tomatenmark, Wasser, Kartoffelstärke und Zitronensäure bestehen, die zuvor zusammengemischt, erhitzt, ausgewalzt, tiefgefroren, zerkleinert und getrocknet worden sind.

Und statt der Stärke von Kartoffeln kann die Suppe auch die von Erbsen enthalten oder gar modifizierte Stärke, die durch bestimmte chemische Umwandlungsprozesse beständiger gegen Hitze, Kälte oder Säure gemacht worden ist - und nichts mehr mit natürlicher Stärke gemein hat.

Modifizierte Stärke hilft auch, Fischstäbchen mit einer Panade zu überziehen, die sich maschinell auftragen, gut einfrieren und anschließend braten lässt, ohne abzufallen. Viele industrielle Panaden sind Hightech-Produkte aus mehreren Zutaten, die exakt abgestimmte Eigenschaften haben: Sie steuern die Bräunung beim Braten, bestimmen das Aroma und gewährleisten, dass die Speise länger knusprig bleibt. Viele Zusatzstoffe erleichtern es, die Nahrungsmittel mit Maschinen zuzubereiten: Ein Bad aus heißer Natronlauge und einem Zusatzmittel etwa lässt die Schale von Kartoffeln verschwinden. Das Gleiche besorgt eine Lösung spezieller Enzyme bei vielen Obstarten.

Zusatzstoff für jeden Zweck

"Schaumverhüter" sorgen dafür, dass sich weder bei blanchierten Tiefkühlerbsen noch in Molkereiprodukten oder Fritteusen störende Schäume bilden. "Antischnurrmittel" verhindern, dass beim maschinellen Backen der Teig schrumpft. Wieder andere Substanzen machen es möglich, dass bei industriell hergestelltem Kakao die Kakaoteilchen über viele Wochen in der Schwebe bleiben, statt sich am Boden abzusetzen. Und erst Zusätze erlauben es, Götterspeisen aus mehreren, scharf voneinander abgegrenzten Schichten herzustellen, obwohl die untenliegende Schicht durch das Einfüllen der heißen Lösung eigentlich schmelzen müsste.

Auch die meisten Kunststoff-Flaschen vertragen keine hohen Temperaturen. Deshalb können die Getränke nicht mit Hitze sterilisiert und heiß in die Flaschen eingefüllt werden. Stattdessen gelangen sie kalt in die Behälter. Dann wird eine ätzende, brennbare und giftige Substanz namens Dimethylkarbonat zugegeben, die alle Keime abtötet und sich anschließend zu Methanol und Kohlensäure zersetzt. Der Verbraucher erfährt davon nichts, denn der sich zersetzende Hilfsstoff entfaltet im Endprodukt keine Wirkung mehr und muss daher nicht angegeben werden.

Ganz anders die "Füllstoffe", etwa Polydextrose und Zellulose. Sie sollen das Volumen von Lebensmitteln vergrößern, ohne deren Kalorienzahl nennenswert zu erhöhen. Füllstoffe sind in der Lage, die Sinne des Menschen auf hohem Niveau zu täuschen. In kalorienreduzierten Light-Produkten rufen sie im Mund die Empfindungen von Zucker oder Fett hervor, ohne die vom Körper erwarteten Kalorien zu liefern. Allerdings kann unser Organismus den Betrug erkennen - was dazu führt, dass er die Täuschung kompensiert: durch Erhöhung des Appetits oder Senkung des Kalorienverbrauchs.

Alles absolut unbedenklich? Die Diskussion um Glutamat

All diese Zusätze sind, ebenso wie die Aromastoffe, nach offizieller Einschätzung unbedenklich - zumindest in den normalerweise konsumierten Dosen. Doch ist das wirklich immer der Fall? Der Geschmacksverstärker Glutamat etwa - der in Suppen, Würsten, Kartoffelchips, Tiefkühlkost, Fertiggerichten enthalten ist - steht im Verdacht, bei vielen Menschen Kopfschmerzen, Übelkeit und weitere Symptome auszulösen. Empfindliche Verbraucher könnten die Substanz vermeiden, doch das Problem ist: Seit Glutamat in Verruf geraten ist, wird der Stoff auf der Verpackung eines Lebensmittels häufig nicht mehr mit seinem Kürzel "E 621" angegeben, sondern verbirgt sich hinter Begriffen wie: Aromastoffe, Würze, Trockenmilcherzeugnis, fermentierter Weizen oder Hefeextrakt.

Auch Allergien und andere Unverträglichkeiten durch Nahrungszusätze sind nicht selten: Wohl etwa zehn Prozent der Bundesbürger reagieren empfindlich auf bestimmte Lebensmittel und darin enthaltene Zusätze, etwa auf Farbstoffe. Diese Additive sollen dem Verbraucher natürliche Bestandteile von Lebensmitteln vorgaukeln, obwohl sie den Charakter von Zusatzstoffen haben. Hierzu gehört auch der Milchzucker, der ungezählten Produkten zugesetzt wird, in denen man ihn nie erwarten würde: Mal dient er als Streckmittel in Soßenpulver, mal als Konservierungsstoff in der Füllung von Apfeltaschen, als Farbstabilisator in Trockengemüse oder als Geschmacksverstärker in Würzmitteln. Da viele Menschen auf Milchzucker mit Durchfällen reagieren, ist sein Zusatz fragwürdig und wird immer stärker kritisiert.

Und bei dem künstlichen Süßstoff Aspartam gibt es noch immer den Verdacht, dass er in hoher Dosierung Krebs auslösen könnte. Eines allerdings macht der Zuckeraustauschstoff offenbar nicht: schlank. In einer Studie an 80 000 Amerikanerinnen stellte sich heraus, dass jene, die Süßstoff verwendeten, nicht etwa abnahmen. Im Gegenteil: Sie legten sogar an Gewicht zu.

Lesen Sie nächste Woche: Die Macht der Lebensmittelgiganten

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