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Thilo Bode Ex-Foodwatch-Chef: "Der Lebensmittelmarkt ist schlimmer als der Finanzmarkt"

Thilo Bode war Chef von Greenpeace Deutschland, Greenpeace International und gründete 2002 die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch, die er bis 2021 leitete
Thilo Bode war Chef von Greenpeace Deutschland, Greenpeace International und gründete 2002 die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch, die er bis 2021 leitete
© Peter Rigaud
Im Interview mit GEO.de erläutert Thilo Bode, was aus seiner Sicht falsch läuft im Lebensmittelsektor, blickt auf seine Zeit bei Foodwatch zurück – und gibt einen Tipp für den Einkauf

GEO.de: Herr Bode, Sie haben als Foodwatch-Chef immer wieder Werbung für ungesunde Nahrungsmittel angeprangert. Nun will Bundesernährungsminister Cem Özdemir Werbung für Nahrungsmittel mit zu viel Zucker, Salz und Fett einschränken. Ein Schritt in die richtige Richtung?

Thilo Bode: Der Vorschlag steht im Koalitionsvertragübrigens auf Druck von Foodwatch – und wurde zum Teil sogar wörtlich übernommen. Ein Verbot der Werbung für Süßigkeiten, die auf Kinder zugeschnitten ist, gibt es in Schweden schon länger. In Deutschland ist so etwas seit Jahren in der Diskussion, darum nötigt mir der Vorstoß keinen großen Respekt ab. Es ist auch nicht so, dass unausgewogene Kinder-Lebensmittel aus den Regalen verschwinden, sie dürfen nur nicht mehr beworben werden. Zurzeit liegt allerdings nur ein Gesetzesentwurf vor. Entscheidend ist, was davon übrig bleibt.

Die Werbung ist das eine. Warum stehen solche Produkte überhaupt im Regal? Weil sie nachgefragt werden?

In den ganzen Jahren bei Foodwatch gab es ein riesiges Hindernis, die Ernährungs- und die Verbraucherpolitik im Lebensmittelmarkt voranzutreiben: nämlich das Mantra, die Leute seien selbst Schuld, wenn gesundheitlich unausgewogene  Lebensmittel im Regal stehen. Wir haben an vielen Einzelbeispielen gezeigt, dass das nicht stimmt. Das Anliegen meines neuen Buches ist, empirisch zu zeigen, dass die Informationen auf den Verpackungen unvollständig oder irreführend sind – oder gleich ganz fehlen. So kann der Verbraucher keine informierte Entscheidung treffen. Und Transparenz ist nun mal die Voraussetzung für einen funktionierenden Markt. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass der Lebensmittelmarkt schlimmer ist als der Finanzmarkt.

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Inwiefern?

Bei Finanzprodukten ist die Rendite umso höher, je höher das Risiko ist. Bei Lebensmitteln dagegen sagt der Preis nichts über die Qualität aus. Unterschiedliche Preise für Olivenöle der höchsten Güteklasse "nativ extra" sagen zum Beispiel nichts über Qualitätsunterschiede aus, denn Sie erhalten keine Informationen über die spezifischen Qualitätsmerkmale der Öle. Deshalb ist ein teures Olivenöl zum Beispiel nicht unbedingt besser als ein günstiges.

Trotzdem: In deutschen Supermärkten findet sich ein Sortiment zu Preisen, von denen die meisten Menschen auf dem Globus nur träumen können. Hat Sie als Foodwatch-Chef manchmal das Gefühl beschlichen, auf hohem Niveau zu jammern, wenn es zum Beispiel darum ging, ob die Tomaten in der Dose nun aus Italien oder aus der Türkei stammen?

Ich argumentiere auf hohem Niveau, weil wir alle nicht verhungern. Aber das kann nicht der Maßstab für ein so reiches Land wie Deutschland sein. Im Gegenteil: Nach der Lebensmittelbasisverordnung, einer Art Grundgesetz des Lebensmittelrechts, die nach dem BSE-Skandal eingeführt wurde, haben wir ein strenges präventives Recht, mit dem schon die Möglichkeit der Täuschung und der Gesundheitsgefährdung ausgeschlossen werden sollen. Dieses Recht wird ständig gebrochen. Dabei geht es um den Schutz des Lebens, es geht um Grundrechte.

Lebensmittel sind in den vergangenen Monaten teurer geworden und werden absehbar noch teurer werden. Sehen Sie da die Gefahr, dass die Menschen sich – Qualität hin oder her – immer mehr im Discounter eindecken und die schonendere Bio-Landwirtschaft unter die Räder gerät?

Es stimmt, die Teuerung ist nicht temporär. Um die für die notwendigen langfristigen Klima-Ziele in der Landwirtschaft – und damit für Deutschland – zu erreichen, müssen die Treibhausgase in der Landwirtschaft erheblich sinken. Das wird nur durch eine Verteuerung der Treibhausgase gelingen, die wiederum zu steigenden Lebensmittelpreisen führen wird. Die Frage ist: Können sich in unserem reichen Land alle ausreichendes, gesundes und ökologisch vertretbares Essen leisten? Da ist die Sozialpolitik gefragt.

Foodwatch hat das Einkaufen zur Wissenschaft gemacht. Viele dechiffrieren jetzt Kürzel für Zusatzstoffe, benutzen Barcode-Scanner für tiefere Recherchen. Haben Sie auch einen Einkaufs-Tipp für Eilige?

Vermeiden Sie problematische Inhaltsstoffe wie zum Beispiel Natriumnitrit, das in Fleischprodukten, übrigens auch in Bio-Fleischprodukten, verwendet wird! Man kann allerdings noch so viel studieren, was auf der Verpackung steht – man hat anhand der Angaben und Gütesiegel kaum eine Chance, Qualitäten zu unterscheiden. Darum empfehle ich im Zweifel, zum billigeren Produkt zu greifen. Oder gleich zum Discounter zu gehen.

Sie waren Chef von Greenpeace International und Greenpeace Deutschland, bevor Sie 2002 Foodwatch gründeten. Die Organisation ist heute eine feste Größe im Verbraucherschutz. Aber Publicity ist das eine. Sind Sie auch mit Ihren Erfolgen zufrieden?

Wir haben keine Siege gefeiert, höchstens Einzelerfolge. Wir waren nicht in der Lage, den Markt so zu drehen, dass er rechtskonform ist, dass die Ernährung für alle gesund, sicher und ökologisch ist. Wir haben Sachen aufgedeckt, wie zum Beispiel Mineralöl in Nahrungsmitteln, dafür müssen wir uns nicht schämen. Aber wir haben die soziale Frage zu sehr vernachlässigt. Ernährungs- wie Klimapolitik können nur gelingen, wenn man die Menschen mitnimmt. Wenn einer kaum seine Miete zahlen kann, dann werfe ich ihm mit Sicherheit nicht vor, dass er keine Biomilch kauft.

Womit wir wieder bei der Politik wären ...

Es wäre an der Zeit, nicht nur für Cem Özdemir, eine Bestandsaufnahme zu machen: Wo stehen wir in der Umwelt-, Verbraucher- und Klimapolitik? Wie sind wir da hingekommen, und was muss jetzt passieren?

Zuletzt bearbeitet am 16.3.2023.

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