Überfischung 75 Prozent der Fischerboote nicht registriert: Satelliten und KI decken dunkle Flotten auf

Eine aus KI und Satellitendaten erstellte Karte enthüllt nicht erfasste Fischerei zwischen Tunesien und Sizilien
Satellitendaten und KI zeigen die Fischerei vor Sizilien und Tunesien – sowohl die öffentlich erfasste (blau), als auch die unsichtbare (gelb)
© ESA (Datenquelle: Paolo et al., 2024/Global Fishing Watch)
Mehrere Milliarden Menschen sind vom Ozean abhängig, doch wie viel dort gefischt wird, war bislang unklar: Viele Schiffe werden von Ortungssystemen nicht erfasst. Eine Studie beseitigt nun mithilfe von Satellitendaten und künstlicher Intelligenz die toten Winkel des Ozeans und zeigt: Auf dem Meer ist es viel voller als gedacht – auch in Meeresschutzgebieten

Auf unserem Planeten gibt es kaum noch weiße Flecken. Nahezu jeder Quadratmeter der Erde ist kartografiert und für jeden und jede einsehbar: Welche Straßen sich durch den kolumbianischen Regenwald schlängeln, ist ebenso sichtbar wie die genaue Lage eines bestimmten Gebäudes in der Londoner Vorstadt oder die aktuelle Auslastung der Berliner U-Bahnlinie 8. Fast alles ist öffentlich aufgezeichnet – zumindest an Land. Anders sieht es auf dem Meer aus. Nicht alle Schiffe sind gesetzlich verpflichtet, ihre Position zu melden. Und so kommt es, dass viele Schiffe nicht von den öffentlichen Überwachungssystemen erfasst werden – und als sogenannte dunkle Flotte über die Ozeane schippern. Wie viele Schiffe tatsächlich auf den Weltmeeren und insbesondere in den Küstengebieten unterwegs sind, war daher bislang völlig unklar.

Nun konnten Forschende erstmals alle menschlichen Aktivitäten auf See sichtbar machen – und sind überrascht über das Ausmaß: Laut ihrer im Fachmagazin "Nature" veröffentlichten Studie sind ganze 75 Prozent der weltweiten Fischereifahrzeuge für öffentliche Ortungssysteme unsichtbar. Von den Transport- und Energieschiffen werden 25 Prozent nicht erfasst.

Auf unseren Meeren zeichnet sich eine neue industrielle Revolution ab.

Die Forschenden werteten für ihre Studie Satellitenbilder der Copernicus-Sentinel-Missionen der Jahre 2017 bis 2021 aus. Diese verglichen sie mit den GPS-Daten von Schiffen, die auf den offiziellen Monitoringsystemen in den Küstengewässern vor sechs Kontinenten auftauchten. So konnten sie Schiffe identifizieren, die ihre Position nicht gemeldet hatten. Die KI schloss dann mittels maschinellen Lernens, welche dieser Schiffe im Fischfang tätig waren.

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Die Fischbestände in den Ozeanen schrumpfen und Schildkröten, Wale und Meeresvögel verenden massenhaft als Beifang in Fischernetzen. Dabei wäre es eigentlich ganz einfach, die See nachhaltig zu bewirtschaften, sagen Meeresbiologen. Angesichts der derzeitigen Situation stellt sich allerdings die Frage: Müssen wir Fisch von unserem Speiseplan streichen?

"Auf unseren Meeren zeichnet sich eine neue industrielle Revolution ab, die bislang unentdeckt geblieben ist", sagte der an der Studie beteiligte Direktor für Forschung und Innovation bei Global Fishing Watch, David Kroodsma, der Europäischen Weltraumorganisation ESA. "An Land haben wir detaillierte Karten von fast jeder Straße und jedem Gebäude auf dem Planeten. Im Gegensatz dazu ist das Wachstum auf unseren Ozeanen der Öffentlichkeit weitgehend verborgen geblieben. Diese Studie hilft, die toten Winkel zu beseitigen und wirft ein Licht auf die Breite und Intensität der menschlichen Tätigkeit auf See."

Hotspots illegaler Fischerei werden aufgedeckt

Der Ozean gilt als die größte öffentliche Ressource der Welt: Für mehr als eine Milliarde Menschen ist er die wichtigste Nahrungsquelle, viele weitere sind indirekt von ihm abhängig. Doch 34 Prozent der kommerziell genutzten Fischbestände gelten laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen als überfischt, weitere 60 Prozent werden bis an die Grenzen ihrer biologischen Belastbarkeit genutzt.

Angesichts der neuen Daten und der Tatsache, dass die Fangtätigkeit deutlich größer ist als bisher angenommen, ist das nicht verwunderlich. Selbst in den Gewässern vor den Küsten vieler Länder, in denen offiziell nur wenige oder gar keine Schiffe gemeldet wurden, wurde eine hohe Konzentration von Fischerbooten festgestellt. Vor allem in Südasien, Südostasien und Afrika wird deutlich mehr gefischt als bisher bekannt. Weltweit waren der Auswertung zufolge stets rund 63.000 Schiffe sichtbar, die Hälfte davon Fischerboote. Vermutlich ist die Zahl noch höher: Die Satellitendaten können nur Boote ab einer Länge von 20 Metern erfassen.

Eine aus KI und Satellitendaten erstellte Karte enthüllt nicht erfasste Fischereiboote zwischen Portugal und Marokko
Vor der Küste Marokkos sind nur wenige Fischerboote gemeldet – und doch zeigt die mit KI und Satellitendaten erstellte Karte, wie viele Schiffe sich dort tummeln
© ESA (Datenquelle: Paolo et al., 2024/Global Fishing Watch)

Selbst sensible Ökosysteme sind vor der Ausbeutung nicht geschützt, die dunklen Flotten tummeln sich auch in vielen Meeresschutzgebieten. So wird das Gebiet um das australische Great Barrier Reef durchschnittlich von mehr als 20 Fischerbooten pro Woche angefahren.

Das Positive an den neuen Erkenntnissen: Die KI kann potenzielle Hotspots der illegalen Fischerei identifizieren, etwa westlich der koreanischen Halbinsel. Mit dem Wissen, wo sich diese befinden, kann in Zukunft besser gegen illegalen Fischfang vorgegangen werden. Gleichzeitig lassen sich mit den neuen Daten die Treibhausgasemissionen auf See besser berechnen. 

Ein Balkendiagramm zeigt die kontinentale Verteilung erfasster und nicht erfasster Industriehandelsschiffe
©  ESA (Datenquelle: Paolo et. al., 2024), erstellt mit Datawrapper

Neben den Schiffen gibt die Studie auch einen Überblick über Offshore-Infrastruktur wie Ölplattformen und Windkraftanlagen: Die Zahl der Ölplattformen ist im Untersuchungszeitraum um 16 Prozent gestiegen, die der Windkraftanlagen hat sich mehr als verdoppelt.