Gegen Überfischung Was bringen Meeresschutzgebiete wirklich?

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Überfischung gefährdet die Artenvielfalt der Ozeane. Schutzgebiete sollen das verhindern
© Tommy Pierucki / Getty Images
Schutzgebiete sollen die Artenvielfalt der Ozeane sichern – vor allem, indem sie die Fischerei eindämmen. Klappt das? Trotz ähnlicher Methodik kommen zwei Studien zu unterschiedlichen Resultaten

Viele Meeresschutzgebiete sollen kommerzielle Fischerei verhindern –und tun dies einer US-Studie zufolge auch erstaunlich gut. Allerdings gelte dies nur für jene Zonen, die unter besonders striktem Schutz stehen. Ein französisches Forschungsteam kommt dagegen zu einem deutlich kritischeren Resultat. 

Beide Studien, die im Fachjournal "Science" erscheinen, stützen sich auf die Auswertung sowohl von Schiffsmeldedaten als auch von Satellitendaten. "Die Daten zeigen, dass die industrielle Ausbeutung bei angemessenen Investitionen eingedämmt wird und dass umfassende Schutzmaßnahmen langfristig nutzen", schreibt Boris Worm von der kanadischen Dalhousie University in Halifax in einem "Science"-Kommentar. Ein deutscher Experte hält Schutzgebiete grundsätzlich für sinnvoll, warnt aber vor pauschalen Verallgemeinerungen.

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Dass eine Überfischung der Ozeane die Artenvielfalt gefährdet, steht außer Frage. Schutzgebiete sollen das verhindern. Nach Ansicht mancher Befürworter können sie zudem dafür sorgen, dass sich Bestände überfischter Arten regenerieren – wovon dann wiederum die Fischerei außerhalb dieser Areale profitieren könnte. Konsens ist diese Sichtweise unter Fachleuten aber nicht.

Radargestützte Satellitendaten erkennen Schiffe ab 15 Meter Länge

Noch im Jahr 2000 stand lediglich ein Prozent der Ozeanflächen unter Schutz – im Vergleich zu mehr als zehn Prozent der Landflächen, wie Kommentator Worm anmerkt. Gegenwärtig seien es acht Prozent der Meeres- und 17 Prozent der Landflächen. Und bis 2030 sollen mindestens 30 Prozent der Ozeane geschützt werden – ein Drittel davon unter striktem Schutz.

Aber was nützen solche Gebiete? Und halten sich Fischereischiffe an Verbote? Um dies zu klären, werteten ein Team um Jennifer Raynor von der University of Wisconsin in Madison sowie eine zweite Gruppe um Raphael Seguin von der Université de Montpellier Schiffsdaten des Automatischen Identifikationssystems (AIS) aus.

Allerdings sind nicht alle Schiffe verpflichtet, AIS-Geräte, die eigentlich Schiffskollisionen verhindern sollen, zu verwenden. Die Vorschriften variieren je nach Land, Schiffsgröße und Aktivität. Daher nutzten beide Teams zur Kontrolle radargestützte Satellitendaten (SAR; Synthetic Aperture Radar), die Fischereischiffe ab einer Länge von 15 Metern erkennen.

"Gute Nachrichten für den Meeresschutz"

Das Team um Raynor untersuchte insgesamt 455 küstennahe strenge Meeresschutzgebiete, die 3,2 Millionen Quadratkilometer abdecken – 0,7 Millionen Quadratkilometer davon wurden per SAR erfasst. Resultat: In den Schutzgebieten identifizierte das Team von 2017 bis 2021 durchschnittlich etwa ein Schiff pro 20.000 Quadratkilometer – das entspricht knapp der Fläche von Hessen (rund 21.000 Quadratkilometer).

Zum Vergleich: In nicht geschützten Arealen lag die Dichte fast neunmal höher. Fischereischiffe in Schutzgebieten fand das Team vor allem in Ost- und Südasien. Meeresgebiete mit striktem Schutz stellen derzeit etwa ein Drittel aller marinen Schutzzonen weltweit.

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Erstautorin Raynor spricht von "guten Nachrichten für den Meeresschutz". "Schutzgebiete mit strikten Fischereiverboten funktionieren besser, als Kritiker behaupten", wird sie in einer Mitteilung ihrer Universität zitiert. "Sie können dazu beitragen, Fischbestände zu erneuern, was ein starker Anreiz für illegale Fischerei dort ist. Dennoch gab es diese Aktivität überwiegend nicht."

Die Studie sei methodisch sauber, sagt der Direktor des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock, Christopher Zimmermann. Das Ergebnis überrasche ihn nicht. 

Werden Schutzareale mit Rücksicht auf die Fischerei geplant?

Das französische Team um Seguin kommt dagegen zu einem negativen Fazit: Es hatte mehr als 6.000 küstennahe Gebiete mit unterschiedlichen Schutzkategorien von 2022 bis 2024 untersucht – ebenfalls mit KI-gestützter Auswertung von SAR-Satellitendaten. In etwa der Hälfte aller Schutzgebiete (47 Prozent) stießen die Forscher nach eigener Darstellung auf Fischereiaktivitäten, die etwa denen nahegelegener Gebiete ohne Schutz entsprachen. Allerdings räumt die Gruppe ein, dass Fischerei in vielen Schutzgebieten nicht grundsätzlich untersagt ist.

Zwar berichten auch sie, dass in strengen Schutzgebieten weniger gefischt wurde. Ausschlaggebend dafür sei aber weniger der jeweilige Schutzgrad, sondern vielmehr die Größe und die Lage: Je kleiner und je entlegener ein Schutzgebiet war, desto eher werde dort nicht gefischt. 

Möglicherweise, so argwöhnt die Gruppe, seien besonders streng geschützte und große Areale gezielt in Regionen eingerichtet worden, die für die Fischerei weniger interessant seien. Das sei aber nicht sinnvoll, moniert sie. Eigentlich gehe es ja darum, jene Gebiete zu schützen, die besonders stark durch den Menschen bedroht würden. 

Deutschland sticht heraus

Die zahlenmäßig meisten Fischereischiffe in Schutzgebieten fand das französische Team in Japan, Frankreich, Großbritannien und Spanien. Die höchste Dichte solcher Schiffe in Schutzzonen wiesen demnach Belgien, die Niederlande und China auf. 

Allerdings räumt die Gruppe selbst ein, dass Länder mit einem hohen Bruttoinlandsprodukt – im Vergleich zu weniger wohlhabenden Staaten – tendenziell mehr küstennahe Schutzgebiete haben. Damit würden Fischereischiffe dort auch eher registriert. 

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Deutschland sticht in der französischen Analyse heraus: Von allen Fischereischiffen, die in seiner Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ; Englisch: Exclusive Economic Zone, EEZ) unterwegs waren, entfielen fast zwei Drittel (64 Prozent) auf Schutzgebiete. Zum Vergleich: Im weltweiten Durchschnitt waren es 7 Prozent. 

Und in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone hätten 79 Prozent der durch Satellitendaten in Schutzgebieten identifizierten Schiffe nicht das AIS eingeschaltet, heißt es weiter. Auch dies war ein globaler Spitzenwert. Im weltweiten Durchschnitt waren es 10 Prozent. 

Die industrielle Fischerei innerhalb von Schutzzonen werde weltweit unterschätzt, schreibt das französische Team. Das gelte auch für Europa.

Ist die französische Studie Ideologie-getrieben?

Gerade das Beispiel Deutschland zeigt für den Rostocker Experten Zimmermann eine grundlegende Voreingenommenheit des französischen Teams. Während die Gruppe um Seguin unterstellt, dass hierzulande in Schutzgebieten viel gefischt und dies auch noch verschleiert werde, verweist er darauf, dass nahezu die gesamte deutsche Nordseeküste unter Schutz stehe. "Die Schiffe müssen diese Gebiete queren, auch wenn sie dort nicht fischen." 

Überhaupt sei die Studie der fischereikritischen Gruppe um Seguin Ideologie-getrieben, kritisiert Zimmermann. So ignoriere sie, dass die Einrichtung von Schutzgebieten ein längerer Prozess sei. Beispiel: In der Ostsee seien schon vor rund zehn Jahren Schutzgebiete ausgewiesen worden, etwa der Fehmarnbelt, die Kadetrinne oder das Gebiet Pommersche Bucht – Rönnebank. 

Doch verboten sei dort die Boden berührende Fischerei erst seit Anfang 2025: Oft werde der genaue Schutzgrad eines Gebietes nach dessen Ausweisung ermittelt – an diesem langwierigen Prozess würden auch Nutzer wie etwa Fischer beteiligt. 

"Wir wollen den maximalen Schutz der Umwelt erreichen, aber auf dem Weg dahin müssen wir auch die Betroffenen berücksichtigen", sagt Zimmermann. "Schutzgebiete sind sinnvoll, wenn sie von allen Beteiligten ausgehandelt sind." Der Zeitbedarf für solche Prozesse sei von Seguins Gruppe völlig außer Acht gelassen worden. Dadurch werde das Ausmaß der Fischerei deutlich überschätzt, so Zimmermann.

"Hauptbotschaft": Investitionen in Schutzgebiete zahlen sich aus 

"Science"-Kommentator Worm schreibt, es gebe Schutzzonen, die nur auf dem Papier existierten und keinen großen Einfluss auf menschliche Aktivitäten hätten. Aber dennoch, so betont er, ließen sich Schutzgebiete umfassend durchsetzen. "Die Hauptbotschaft ist, dass sich Investitionen in Schutzgebiete auszahlen." Und mit SAR stehe inzwischen eine Satellitentechnologie zur Verfügung, mit der sich die Einhaltung von Fischereiverboten bis ins Detail verfolgen lasse.