Massenflucht aus der DDR Ein Dorf macht rüber – und die Stasi schaut hinterher

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Böseckendorf, im heutigen Thüringen unweit der Grenze zu Niedersachsen gelegen, hat um 1960 rund 300 Einwohner. Seine Häuser stehen im Sperrgebiet, das DDR-Grenzer genau überwachen (Vordergrund: Foto von 1968; Dorfansicht: um 1910)
Böseckendorf, im heutigen Thüringen unweit der Grenze zu Niedersachsen gelegen, hat um 1960 rund 300 Einwohner. Seine Häuser stehen im Sperrgebiet, das DDR-Grenzer genau überwachen (Vordergrund: Foto von 1968; Dorfansicht: um 1910)
© Vordergrund: Wilfried Glienke / Zentralbild / ullstein bild; Dorfansicht: Mecke Druck und Verlag, Duderstadt / www.Eichsfelder-Postkarten.online; Montage: GEO Epoche
1961 beschließt das SED-Regime, die innerdeutsche Grenze am Örtchen Böseckendorf von innen dichtzumachen. Die Einwohner reagieren – mit der größten Massenflucht der DDR-Geschichte

"Ihr seid ja noch hier", sagt der Polizist, der am Abend plötzlich in der Tür von Josef Thume steht. Und auf dessen überraschte Reaktion ein nervöser Ausruf: "Das ganze Dorf ist weg."

Was soll das heißen, weg, denkt Josef Thume und tritt hinaus auf die Straße. Auf den ersten Blick wirkt alles wie immer im Örtchen Böseckendorf: Licht brennt in den Bauernhäusern, Suppe steht auf dem Tisch, die Tiere in den Ställen sind versorgt. Nur dass an diesem 2. Oktober 1961 genau 53 Menschen fehlen. Einfach verschwunden, ohne Abschied, ohne Vorwarnung. 53 Menschen – das ist zwar nicht das ganze Dorf, aber immerhin ein Sechstel der rund 300 Bewohner. 14 Familien haben ihre Höfe verlassen, fast alle der alteingesessenen Bauern.

Erschienen in GEO Epoche Nr. 126 (2024)