Jahrelang haben Fachleute über diesen weißen Wal gerätselt: Woher stammte der Beluga "Hvaldimir", der 2019 vor der Küste Norwegens auftauchte, immer wieder die Nähe zu Booten suchte, sich streicheln ließ und schnell zur internationalen Berühmtheit aufstieg? Und zu welchen Zwecken trug er einen Gurt um den Leib, an dem eine Halterung für eine kleine Kamera befestigt war?
Schnell wurde der Meeressäuger zu einem Spionagewal erklärt, auf einer der Schnallen des Gurtes stand geschrieben "Equipment St. Petersburg". Möglicherweise, so eine der Theorien, hätten russische Biologen den Beluga trainiert, feindliche Taucher aufzuspüren, Minen zu finden oder Gegenstände vom Meeresboden zu bergen. Auch vor diesem Hintergrund erhielt der Beluga seinen Namen: "Hvaldimir" ist ein Schachtelwort aus "hval", norwegisch für Wal, und dem russischen Namen "Wladimir". Auch nach seinem Tod vor wenigen Monaten rissen die Spekulationen über seine Identität nicht ab.
Hvaldimir soll tatsächlich dem russischen Militär gehört haben
Die ukrainische Meeresbiologin Olga Shpak will nun das Rätsel um Hvaldimir gelöst haben: Dem Nachrichtensender BBC erklärte sie, der Wal habe tatsächlich dem russischen Militär gehört – ein Spionagetier sei er jedoch nicht gewesen. Stattdessen, so Shpak, sei sie sich "hundertprozentig sicher", dass der Wal ausgebildet wurde, um einen Marinestützpunkt zu bewachen. Mit einer Kamera versehen, hätte der Beluga möglicherweise Objekte in der Umgebung des Stützpunkts aufzeichnen können. Während des Trainings im offenen Meer jedoch, so Shpak weiter, sei das Tier eines Tages davongeschwommen, samt Gurt und Kamerahalterung.
Laut Shpak wurde der Beluga 2013 im Ochotskischen Meer in Ostasien gefangen genommen und anschließend im Rahmen eines russischen Militärprogramms in der Arktis trainiert – unter dem Namen "Andruha". Der BBC gegenüber beschreibt Olga Shpak den Wal als intelligent, aber auch als "eine Art Hooligan", denn schließlich habe er sich nicht zähmen lassen.
Die Wissenschaftlerin hat zwischen den 1990er-Jahren und 2022 als Meeresbiologin unter anderem am Sewerzow-Institut für Ökologie und Evolution der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau gearbeitet. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählten Schutzmaßnahmen für Wale. Mit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine kehrte sie in ihre Heimat zurück. Ihre Informationen über Hvaldimir will sie von Quellen in Russland erhalten haben.
Wahrscheinlich war eine bakterielle Infektion für seinen Tod verantwortlich
Russland hat sich nie offiziell zur Herkunft des Wals geäußert. Auf Satellitenfotos russischer Marinestützpunkte nahe dem Eismeerhafen Murmansk ließen sich 2019 tatsächlich Einhegungen im Meer erkennen, die der Haltung von Belugas hätten dienen können. Seit den 1960er-Jahren trainieren Russland und auch die USA Delfine, Robben und andere Meeressäuger zur Unterstützung der Marine.
Am 1. September 2024 trieb Hvaldimirs Körper leblos in einem Hafenbecken. Nachdem Tierschützer zunächst vermutet hatten, der Beluga sei erschossen worden – und Gerüchte die Runde machten, Russland sei verantwortlich für seinen Tod –, ergab eine Obduktion eine andere Ursache: Demnach hat wahrscheinlich eine bakterielle Infektion Hvaldimirs Tod verursacht.