Unermesslich reich ist die Kultur der Aborigines und Torres-Strait-Insulaner, die seit Jahrzehntausenden den Fünften Kontinent und einige benachbarte Eilande bewohnen, sich anfangs den Lebensraum teilen mit Riesenechsen und großen Beuteltieren. Die meisten der Indigenen durchstreifen als Jäger, Fischer und Sammler das Land, das ihnen heilig ist. Sie verstehen sich als dessen Hüter, betreiben eine einfache Art der Landwirtschaft. Jede Gemeinschaft hat ein eigenes Territorium, oft begrenzt durch Flüsse oder Berge, die die Indigenen verehren, weil in ihrer Vorstellung dort einst Schöpferwesen wirkten – und noch immer wirken. Denn die Wesen der sogenannten Traumzeit existieren ewig, in einer Wirklichkeit neben der unseren.
Komplizierte Strukturen regeln etwa, wer wen heiraten darf und wer als Schwester oder Bruder gilt. Damit ein Kind zur Welt kommen kann, braucht es mehr als Sex: Wenn eine Frau den Fötus zum ersten Mal in sich spürt, ist ein Geistkind in ihren Bauch geschlüpft. Je nachdem, wo sie sich dann gerade befindet, erhält ihr Baby ein bestimmtes Totem, mit dem es ein Leben lang verbunden bleibt – etwa mit einem Tier, einem Baum oder einem Felsen.
Es ist diese Welt, in die ab 1606 immer wieder europäische Kapitäne und Schiffsmannschaften auf Erkundungs- und Eroberungsfahrten vorstoßen. Zuerst Niederländer, dann Engländer. Am folgenschwersten ist die Landung des britischen Entdeckers und Kartografen James Cook 1770 in der Botany Bay (heute in Sydney). Denn ein mitreisender Wissenschaftler sieht in der Bucht einen idealen Ort, um dort eine Sträflingskolonie einzurichten und Großbritanniens überfüllte Gefängnisse zu entlasten.
1788 gründen die Briten ihre erste Kolonie in Australien – für Sträflinge
Und genau so wird es kommen. 18 Jahre später, 1788, erreichen die ersten Soldaten, Sträflinge und Verwaltungsbeamten aus Großbritannien Australien, insgesamt rund 1400 Männer, Frauen und Kinder. Und sie werden nicht die letzten bleiben. Auf immer mehr Sträflinge folgen bald auch freie Siedler. Ein Goldrausch spült weiße Zuwanderer aus aller Herren Länder auf den Kontinent. Kohle, Kupfer, Blei und Zink werden entdeckt und gefördert. Schafe gezüchtet, deren Wolle zum Exportschlager wird.
Um 1900 sind mehr als 90 Prozent der australischen Bevölkerung in Großbritannien geboren oder haben britische Vorfahren. Das Land, das die Aborigines verehren, wird ihnen nach und nach entrissen, wird eingezäunt, ausgebeutet. Die Indigenen selbst werden verdrängt, verfolgt, gejagt, getötet. Ihre traditionelle Lebensweise hat keinen Platz mehr in Australien. Zehntausende sterben allein an Krankheiten, die die Europäer einschleppen.

1901 schließen sich die sechs britischen Kolonien zum "Commonwealth of Australia" zusammen, 1931 wird Australien de facto unabhängig von London – doch das Staatsoberhaupt der parlamentarischen Monarchie ist nach wie vor der britische König. Und so trägt Verantwortung für die Folgen des Landraubs, der Umerziehungsprogramme, der Entwurzelung und Ausgrenzung der Indigenen, wer immer diesen Titel innehat. Und das ist aktuell Charles III.
Die Folgen einer Politik, die über Jahrhunderte hinweg nur die Weißen in Australien gefördert hat, sind allgegenwärtig. Erst in den 1960er-Jahren beginnt langsam ein Umdenken. 1967 erhalten die Indigenen das Bürgerrecht. Auf eine Wiedergutmachung für erlittenes Leid, etwa das Herausreißen von Kindern aus der eigenen Familie und eine Zwangsunterbringung in Heimen oder bei weißen Pflegeeltern, warten viele lange vergebens.
"Geben Sie uns unser Land zurück!"
Am 13. Februar 2008 hat sich Australiens Regierung erstmals insbesondere bei den Angehörigen und Betroffenen der "Stolen Generations" entschuldigt. Doch bis heute prägen Rassismus, Diskriminierung und ein oft trostloser Alltag das Leben vieler Aborigines und Torres-Strait-Insulaner, deren Land und damit ein Großteil ihrer Identität ein Raub der Briten geworden ist.
Das mag erklären, warum die indigene Senatorin Lidia Thorpe am Montag, dem 21. Oktober 2024, in Canberra folgende an König Charles III. gerichtete Forderung in den Parlamentsaal gerufen hat, bevor Sicherheitskräfte sie abführen: "Geben Sie uns unser Land zurück, geben Sie uns zurück, was Sie unserem Volk gestohlen haben!"