Unser Begleiter im All hat ein Pendant bekommen: Am Europäischen Astronautenzentrum der ESA in Köln ist eine perfekte Kopie einer Mondlandschaft entstanden. Auf 700 Quadratmetern wurde dafür eigens gemischter Sand aufgeschüttet, ein Seilsystem soll die Mondschwerkraft simulieren. In der Anlage namens "LUNA" sollen Astronautinnen und Astronauten wie Alexander Gerst neue Raumanzüge und Instrumente testen. GEO-Reporter Lars Abromeit, der seit Jahren regelmäßig mit Gerst zusammenarbeitet, hat den Astronauten befragt.
GEO: Alex, wenn du den Mond am Nachthimmel stehen siehst, was bedeutet er für dich?
Alexander Gerst: Naja, zum einen ist es mein Job, mich darauf vorzubereiten, dort hinzufliegen.
Du siehst also gewissermaßen deinen zukünftigen Arbeitsplatz ...
... ja, genau! Aber gleichzeitig ist der Mond für mich auch viel mehr. Deshalb lohnt es, sich immer mal wieder daran zurückzuerinnern, wie meine Begeisterung für den Weltraum begonnen hat: Schon als Kind habe ich immer sehr gern den Nachthimmel angeschaut. Beim Laternenumzug zum Beispiel ging mein Blick immer eher nach oben, als zu den Lampions selbst.

Der Mond hat mich fasziniert. Ich habe mich zum Beispiel gefragt: Warum sieht es so aus, als ob das Mondgesicht manchmal grimmig guckt und mal freundlich? Was sind das für Strukturen, die man da sieht? Meine Eltern haben mir dann viele Bücher zum Mond geschenkt. Und mein Opa, der Amateurfunker war, hat mich einen Funkspruch zum Mond schicken lassen. Der kam dann kurz darauf wieder zu uns zurück. Mein Opa hat mir erklärt, dass für einen Moment alle Gesteinsmoleküle auf der Oberfläche des Monds im Rhythmus meiner Stimme vibriert haben. Genau das passiert ja, wenn eine elektromagnetische Welle auf eine Oberfläche trifft. Das fand ich unglaublich inspirierend: Dass ich tatsächlich mit diesem fernen Himmelskörper interagieren konnte! Meine Stimme war also schon mal da.
Diese pure Faszination für den Mond packt mich manchmal noch immer, wenn ich ihn abends überraschend am Horizont aufgehen sehe.
Ist das eine andere Faszination als auf der Internationalen Raumstation ISS?
Die ISS ist bereits großartig, aber beim Mond kann man spüren: Das ist ein anderer Himmelskörper, eine andere Welt – und ich kann da vielleicht hin! Auf der ISS ist man mitten im schwarzen Nichts. Um dich herum ist nur leeres Vakuum und eine menschengemachte Struktur. Das Interessante dort ist der Blick zurück – auf die Erde. Aber beim Mond ist man wirklich an einem fremden, neuen Ort, den es genauer zu entdeckt gilt.
Jetzt holt die Europäische Raumfahrtagentur ESA gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR den Mond nach Köln. Im Astronautenzentrum ist mit LUNA eine Trainingshalle entstanden mit simuliertem Mondstaub. Dort sollt Ihr demnächst unter anderem Instrumente, Raumanzüge und Baustoffe für eine Forschungsstation testen. Wozu brauchen wir ein solches Simulationszentrum in Europa?
Wir müssen uns auf unsere Reisen vorbereiten, und es gibt auf der Erde keinen besseren Ort dafür als das LUNA-Zentrum. Hier können wir viele Aspekte einer Mission gleichzeitig simulieren. Wie entscheidend das für den Ernstfall ist, habe ich schon früher bei der freiwilligen Feuerwehr gelernt, später natürlich auch bei der Vorbereitung auf meine ISS-Missionen. Das Training muss so realistisch wie möglich sein – mit vielen Problemen, die gleichzeitig auftreten. Nur so merken wir, ob wir alle die Komplexität unserer Aufgaben und Verfahren wirklich beherrschen.
Zum Beispiel?
Auf dem Mond herrscht ein ganz anderes Licht als hier auf der Erde. Wenn man dort in der Sonne steht, ist es so gleißend hell, dass man nichts mehr erkennt, was im Schatten ist. Das ist, als schaue man in der Nacht beim Radfahren direkt in den Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos! Bei einer Bodenwelle auf dem Mond etwa weiß ich dann nicht: Ist die nur zwei Zentimeter tief oder 15 Meter? Am Südpol des Monds, zu dem wir mit den neuen Missionen wollen, kommt das Licht von der Seite, anders als bei den Zielen des Apollo-Programms damals. Wie wir damit zurechtkommen, müssen wir üben. Und in LUNA kann man genau dieses Licht simulieren.

Auch die Raumanzüge werden uns noch mal vor andere Probleme stellen als auf der ISS, mit dem Staub und der Gravitation des Mondes.
Soll es Trainingseinheiten geben, die über mehrere Tage eine Mondmission simulieren?
Ja, bestimmt. Aber wir sind noch am Anfang: Die meisten Geräte müssen erst installiert werden. Jetzt kommt zunächst einmal die Beleuchtung, dann das "Gravity Off-Loading"-System, um mithilfe von Bändern die geringere Mondschwerkraft für Teammitglieder zu simulieren. Es gibt in LUNA zum Beispiel auch eine Rampe, an der wir die Arbeit mit Rovern in steilem Mondstaub-Gelände testen können. Und oft wird es darum gehen, die besten Abläufe für die Mission zu testen: Wie viel Zeit braucht man für die Experimente, fürs Essen und für die Organisation des Alltags auf einer Mondstation? Wie läuft die Kommunikation mit dem Bodenpersonal? Jeder Funkspruch kommt durch die große Entfernung zum Mond ja verzögert an.
Auf welches Training freust du dich am meisten?
Schwer zu sagen, aber aus Astronautensicht freut man sich natürlich am meisten darauf, für eine Mondmission nominiert zu werden. Dann fühlen sich die Trainingseinheiten gleich ganz anders an. Was für ein Gefühl muss das sein! Du bist hier in LUNA im Raumanzug unterwegs und du weißt, in wenigen Monaten wirst du tatsächlich damit auf dem Mond stehen – da bekomme ich Gänsehaut.
Nach all den Jahren geht es tatsächlich bald los, oder?
Ja, der Aufbau von LUNA ist auch ein Zeichen dafür: Die Rückkehr zum Mond nimmt jetzt wirklich Fahrt auf. In den vergangenen Jahren wurden einige nationale US-amerikanische Mondprojekte begonnen und wieder eingestellt. Doch das Artemis-Programm ist anders: Das "Orion"-Raumschiff wird zur Hälfte in Deutschland gebaut, Teile der Gateway-Raumstation werden ebenfalls in Europa hergestellt. Die Artemis-I-Mission ist bereits geflogen. Für die zweite, bei der erstmals auch wieder Menschen zum Mond fliegen werden, ist die Kapsel jetzt schon in Florida. Es geht los – und bei der Vorbereitung haben wir keine Zeit zu verlieren. Der Aufbau des LUNA-Zentrums hat ein paar Jahre gedauert. Aber so ist das nun einmal oft in der Raumfahrt: Wir müssen relativ weit vorausschauen, um dann bereit zu sein, wenn's drauf ankommt.

Kannst du die Erfahrung aus deinen Missionen zur Raumstation ISS in die Planung mit einbringen?
Absolut! Die Erfahrungen aus der Funkkommunikation zum Beispiel und mit den Lebenserhaltungssystemen der ISS werden jetzt auf dem Mond noch viel wichtiger sein als im erdnahen Orbit. Wir haben auf der ISS auch 3-D-Drucker entwickelt, die bei den Mondmissionen eine zentrale Rolle einnehmen sollen: Zum Beispiel könnte man aus dem Mondstaub Ziegel für eine Station drucken.
Und für die Entwicklung der Gateway-Station im Mondorbit habe ich als Vertreter des Astronautenkorps eng mit den Ingenieurinnen und Ingenieuren zusammengearbeitet: Wo sollen die Schlafkabinen geplant werden, wo die Trainingsgeräte? Wie muss der Essplatz gebaut sein – und wie groß sind die Fenster? Da konnte ich meine Erfahrung natürlich gut einbringen.
Ersetzt das LUNA-Zentrum jetzt alle anderen Trainingsmissionen in Erdgegenden, die Ähnlichkeiten mit der Mondoberfläche haben?
Nein, bei den Missionen aus dem PANGAEA-Programm, das ich ja auch absolviert habe, geht es um andere Fragen: Da lernt man vor allem, wissenschaftlich zu arbeiten, eine Landschaft zum Beispiel geologisch zu lesen und für die Forschungsteams auf der Erde korrekt zu beschreiben – damit die Mission gut vorankommt. Als Geophysiker habe ich das schon vorher gemacht, doch die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen kannten diese Prozesse noch nicht. Solche Trainingseinheiten werden weiterhin sinnvoll sein. Im LUNA-Zentrum aber können wir neue Instrumente und ganz spezifische Abläufe viel genauer trainieren.
Was ist für dich der wichtigste Grund, warum Menschen wieder zum Mond fliegen sollten?
Es gibt viele wissenschaftliche Gründe: Weil der Mond aus der Erde hervorgegangen ist, können wir unsere Vergangenheit dort erforschen. Wir können Spuren der frühen Erdgeschichte entdecken, die hier bei uns längst verwischt sind. Wir können vieles über die Gefahren von Meteoriteneinschlägen und kosmischer Strahlung lernen. Vielleicht schaffen wir es, ein System für die Abwehr von Meteoriten zu bauen, das wäre viel einfacher, als Raketen dafür von der Erde zu starten. Und, last, but not least, ist der Mond auch das Sprungbrett zum Mars.
Der stärkste Grund aber ist für mich: Wir Menschen haben die Pflicht, unsere Umgebung im All zu erforschen. Wir sind auf der Erde ein Inselvolk im schwarzen, riesigen Meer des Weltraums. Von da draußen lauern Gefahren. Je mehr wir darüber wissen, desto größer ist unsere Chance, langfristig zu überleben. Und ich bin sicher: Wir werden Dinge dabei entdecken, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Das war zum Beispiel bei der Entdeckung der Antarktis im letzten Jahrhundert genauso.
Warum also müssen wir wieder zurück zum Mond? Die kurze, aber am Ende beste Antwort für mich ist schlicht: Weil er da ist.