Wahlkampf-Bilder Politiker bei Katastrophen: "Die richtige Inszenierung wird komplexer"

Joe Biden spricht vor zerstörtem Haus
US-Präsident Joe Biden machte sich nach Hurrikan "Milton" in Florida umgehend ein Bild von den Verwüstungen. Seine Rede hielt er direkt vor zerstörten Häusern
© ASSOCIATED PRESS / picture alliance
Zuletzt haben zwei Hurrikans in den USA den Wahlkampf überschattet. Die Politikwissenschaftlerin Paula Diehl erklärt, wie sich Politiker bei Naturkatastrophen in Szene setzen – und warum viele Bürger immer höhere Ansprüche an diese Inszenierungen stellen

GEO: Immer wieder überschatten Naturkatastrophen Wahlkämpfe, wie derzeit in den USA. Werden solche Katastrophen auch immer häufiger für Wahlkampfzwecke inszeniert?

Prof. Paula Diehl: Naturkatastrophen sind schon immer für Wahlkampfzwecke eingesetzt worden, sowohl von regierenden Politikerinnen und Politikern als auch von oppositionellen. Neu ist, dass Politiker wie Trump dazu übergehen, im Rahmen von Naturkatastrophen Fake News zu verbreiten.

Trump hatte unter anderem behauptet, dass die derzeitige US-Vize-Präsidentin, Kamala Harris, das Geld der Katastrophenschutzbehörde FEMA für die Unterbringung illegaler Einwanderer ausgegeben habe.

Trump erfindet jeden Tag etwas anderes. Was ihn so gefährlich macht, ist die Verbindung von Fake News mit Populismus. Wirbelstürme, Hochwasser und ähnliche Ereignisse betreffen Menschen, die unter Umständen alles verloren haben, ihr Haus, Besitztümer, Angehörige. Das setzt ein besonderes Emotionalisierungspotential frei, das Populismus gut politisieren kann. Deshalb können Katastrophen für Populisten wie Trump eine Chance sein. Allerdings sind die Gelegenheiten zu Selbstinszenierung als Retter im Katastrophenfall für Oppositionspolitiker nicht so leicht gegeben wie für Regierende, sondern müssen mit viel Aufwand produziert werden. Das hat Trump bisher nicht gemacht, vielmehr blieb er dabei, gegenüber Harris und Biden Vorwürfe zu erheben.

Inszenieren sich denn Politiker heute anders als bei früheren Naturkatastrophen?

Paula Diehl blickt in Kamera
Paula Diehl ist Professorin für Politische Theorie, Ideengeschichte und Politische Kultur an der Universität Kiel. Von ihr ist u.a. das Buch erschienen: "Das Symbolische, das Imaginäre und die Demokratie. Eine Theorie politischer Repräsentation"
© Taylor Mickal

Nicht unbedingt, aber sie haben es mit einem anderen Publikum zu tun. Die Bilder von Helmut Schmidt bei der Hamburger Flutkatastrophe 1962, Gerhard Schröder 2002, Malu Dreyer 2021 bei dem Hochwasser an der Ahr, Scholz und Söder vor kurzem in Bayern folgen einer ähnlichen Struktur: die Verantwortungstragenden sind vor Ort, tragen passende Schuhe zu der Situation und zeigen, dass sie sich kümmern. Aber das Publikum weiß, dass alle Bilder der Politik Ergebnisse von Inszenierungen sind, auch wenn sie nicht unbedingt "falsch" sein mögen. Denn das heutige Publikum praktiziert Selbstinszenierung jedes Mal, wenn es Bilder von sich in sozialen Medien postet und dort etwas über sich erzählt. Unter diesen Bedingungen wird die "richtige" Inszenierung für Politiker*innen viel komplexer. Sie muss als authentisch gelten und zugleich als "gut gemacht" goutiert werden. 

Hurrikan Kirk Atlantischer Ozean

"Kirk" trifft auf Deutschland Warum Hurrikans stärker werden – und wie sie es bis nach Europa schaffen

In der Nacht zu Donnerstag fegt Ex-Hurrikan "Kirk" über Deutschland, bringt orkanartige Böen und heftige Regenfälle. Zugleich trifft "Milton" auf Florida. Der Hurrikan könnte einer der gefährlichsten in der Geschichte des Bundestaates werden. Beide Stürme hängen mit steigenden Wassertemperaturen der Ozeane zusammen: Sie machen Hurrikans heftiger und auch in Europa wahrscheinlicher  

Zum Beispiel?

Um bei Malu Dreyer zu bleiben: Bei einem gemeinsamen Besuch im Hochwassergebiet stützte die Bundeskanzlerin Angela Merkel die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin. Das waren wirklich symbolträchtige Aufnahmen mitten am Katastrophenort, die Emotionen auslösen konnten. 

Aber können Aufnahmen nicht schnell zu gespielt, zu gewollt wirken?

Das ist ja das Entscheidende: Schon mit dem zunehmenden Fernsehkonsum und erst recht durch die sozialen Medien haben wir alle ein Bewusstsein dafür entwickelt, wie Bilder konstruiert werden. Jeder, der auf Instagram und anderen Netzwerken aktiv ist, setzt sich selbst in Szene. Die meisten Bürgerinnen und Bürger wissen also, dass Bilder von Politikern gestellt sind. Sie erwarten eine gute, professionelle Inszenierung. Die Kommentare auf soziale Medien und das Spiel mit Memes sind dafür gute Indizien. Authentizität bei einer Naturkatastrophe bedeutet heute, einen Sinn für den Ernst der Lage zu vermitteln, verbunden mit der richtigen Inszenierung. Das klingt einfacher, als es ist: Das Foto vom lachenden Kanzlerkandidaten und nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet 2021 im Hochwassergebiet ist das beste Beispiel einer unangemessenen Inszenierung. Auch wenn die Geste nicht für das mediale Publikum bestimmt war und wahrscheinlich mit der Situation nichts zu tun hatte, blieb sie als im medialen Gedächtnis.

Angela Merkel und Malu Dreyer besichtigen Flutkatastrophe
Hand in Hand in der Katastrophe: 2021 besuchten Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.) und Malu Dreyer (M.), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, gemeinsam das Dorf Schuld, das durch das Hochwasser verwüstet worden war. Die Aufnahmen drückten Zusammenhalt in der Not aus
© POOL AFP/ dpa / picture alliance

Angesichts des Klimawandels müssen wir mit einer Zunahme von Naturkatastrophen rechnen. Wird es für Politikerinnen und Politiker künftig immer wichtiger, sich vor Ort gekonnt selbst darzustellen?

Ja und nein. Naturkatastrophen werden aufgrund der Klimakrise häufiger; Politiker werden hier also zunehmend gefragt sein. Gleichzeitig könnte das bedeuten, dass Szenen von Politiker*innen zum Beispiel in Gummistiefeln zur Normalität werden. Das würde die Wirkmächtigkeit solcher Bilder aus Katastrophengebieten möglicherweise abschwächen.