Direkt vor dem Start reichen sich die Kinder kurz die Hand. Dann wird es ruhig an den zehn Tischen auf dem Schulhof. Die Mädchen und Jungen konzentrieren sich auf ihre nächsten Züge: Sie duellieren sich im Schach.
In Makoko, dem größten schwimmenden Slum der Welt, ist das "Spiel der Könige" ein Teil des Unterrichts. Der 27-jährige Tunde Onakoya, ein nigerianischer Schachmeister, lehrt es. Regelmäßig besucht er die Whanyinna-Schule im Herzen des Armutsviertels, um Spielzüge und Strategien sowie den Umgang mit Niederlagen zu erklären. Doch die Kinder erringen auch Siege, und sie werden für gute Partien gefeiert. So viel Zuspruch erfahren sie im alltäglichen Leben selten.
Seit fünf Jahren engagiert sich Onakoya mit Chess in Slums Africa (CISA) in Lagos, der Wirtschaftsmetropole Nigerias. Mittlerweile trainiert seine Organisation mehr als 1000 Kinder in fünf Armutsvierteln; nicht nur an Schulen, sondern auch auf Marktplätzen oder unter Brücken, wo viele obdachlose Kinder leben.

Onakoya ist überzeugt, dass Schach ihnen den Weg aus der Armut erleichtern kann. Denn das Spiel stärkt das Selbstvertrauen der Jungen und Mädchen. Einige wachsen ohne Eltern auf oder haben nie eine Schule besucht. Triumphieren sie beim Schach, zeigen sie, dass sie genauso klug sind wie andere – und ihnen im Alltag nur die Chancen fehlen, das unter Beweis zu stellen.
Viele von ihnen fassen dadurch den Mut, sich ehrgeizige Ziele zu setzen. Die elfjährige Vivianne etwa möchte Krankenschwester werden. Marcelo träumt von einer Karriere als professioneller Schachspieler. "Schach sorgt dafür, dass ich gern zur Schule gehe", sagt der Zehnjährige. An besonders begabte oder bedürftige Kinder vermittelt CISA Stipendien. Ihre Familien können sich so die Schulgebühren leisten. 200 Mädchen und Jungen fördert die Organisation auf diese Weise.
Auch Schachmeister Onakoya ist in einem Armenviertel aufgewachsen. Als Jugendlicher verbrachte er aus Langeweile viel Zeit bei einem Barbier, eine weiterführende Schule konnten seine Eltern nicht bezahlen. In dem kleinen Laden spielten die Kunden gern Schach. Onakoya lernte die Regeln durchs Zuschauen.
Bald gewann er erste Wettbewerbe – und schließlich ein Stipendium für sein Studium. "Schach hat mich von der Straße geholt und mir das Leben gerettet", sagt er. Diesen Weg will er nun anderen ebnen. Er plant, das Engagement von CISA auf weitere afrikanische Staaten auszuweiten.