Neue Studie Schon zwölf Jahre vor der Diagnose: Augen geben Aufschluss über das spätere Demenzrisiko

Sieh mir in die Augen, und ich sage dir, wie gesund du bist: Diverse Krankheiten lassen sich am Auge ablesen
Sieh mir in die Augen, und ich sage dir, wie gesund du bist: Diverse Krankheiten lassen sich am Auge ablesen
© Lev Dolgachov / Alamy / mauritius images
Oft sind Ärztinnen und Ärzte erst in der Lage, Demenz zu diagnostizieren, wenn das Gehirn schon stark angegriffen ist und Patienten unter Beeinträchtigungen leiden. Neue Erkenntnisse könnten jedoch helfen, schneller zu reagieren: Forschende konnten jüngst nachweisen, dass Alzheimer-Demenz schon früh an den Augen erkennbar ist

Dass sich diverse Erkrankungen am Auge ablesen lassen, darunter zum Beispiel auch Depressionen, wissen Forschende schon länger. Nun fand ein britisches Wissenschaftlerteam heraus: Das menschliche Auge gibt Aufschluss über die Gesundheit des Gehirns. Augenprobleme können demnach eines der frühesten Anzeichen kognitiven Verfalls sein.

Wie gut jemand sehen kann und wie schnell die Reaktionszeit der Augen ist, könne ein Frühindikator für eine spätere Demenzerkrankung sein, schreiben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Loughborough University im Fachmagazin "Scientific Reports". Und weiter: Ein Verlust der Sehkraft und der visuellen Sensibilität könne eine Demenz bereits zwölf Jahre vor der Diagnose anzeigen.

Sehprobleme zeigen sich bei Demenz schon früh

Für seine Studie beobachtete das Team um Professorin Eef Hogervorst über Jahre hinweg insgesamt 8623 gesunde Personen aus England zwischen 48 und 92 Jahren. Von diesen Probandinnen und Probanden entwickelten 537 Personen zum Ende der Studienlaufzeit nach zwölf Jahren eine Demenz. Anhand der Datenauswertung der erkrankten Personen wollten die Forscherinnen und Forscher nun herausfinden, welche Faktoren dieser Diagnose vorausgegangen sein könnten, wobei sie sich auf die Sehleistung konzentrierten.

Mit den Teilnehmenden wurde deshalb ein visueller Sensibilitätstest durchgeführt. Dabei mussten die Probandinnen und Probanden einen Knopf drücken, sobald sie auf einem Bildschirm ein Dreieck in einem Feld mit sich bewegenden Punkten sahen. Ergebnis: Menschen mit einer späteren Demenzerkrankung hatten das Dreieck auf dem Bildschirm viel langsamer wahrgenommen als Menschen, die nicht an Demenz erkrankten.

Wie die Forschenden in einer Mitteilung der Universität Loughborough berichten, könnte der Grund dafür sein, dass sich die für Alzheimer-Demenz typischen Ablagerungen fehlgefalteter Proteine zuerst in den Hirnbereichen bilden, die in direkter Verbindung mit dem Sehvermögen stehen. Die Teile des menschlichen Gehirns, die mit der Gedächtnisleistung einhergehen, würden hingegen erst mit dem Fortschreiten der Krankheit immer weiter geschädigt. Sehtests könnten deshalb möglicherweise Defizite dieser Art feststellen und auf eine beginnende Problematik hinweisen, noch bevor Gedächtnistests das tun – schon bis zu zwölf Jahre vor der eigentlichen Demenzdiagnose.

Das Erkennen von Gesichtern wird schwieriger

Schon länger gibt es Hinweise darauf, dass an Demenz erkrankte Personen bereits vor dem Auftreten erster kognitiver Einschränkungen ihre Augen in einer anderen Art und Weise bewegen als gesunde Menschen. Die Augen von Demenzerkrankten folgen nicht mehr den üblichen, standardisierten Mustern, nach denen Gesunde neue Gesichter betrachten, um sie abzuspeichern und später wiederzuerkennen. Gesunde Menschen betrachten ein Gesicht von den Augen über die Nase bis zum Mund, um es sich einzuprägen. Demenzkranke tun dies nicht. Sie verändern, ohne dies bewusst zu steuern, ihr Blickmuster.

Einige Ärztinnen und Ärzte, die mit an Demenz erkrankten Personen arbeiten, könnten aus diesem Grund sofort jemandem die Erkrankung ansehen, wenn sie ihn zum ersten Mal treffen, schreibt die Professorin Eef Hogervorst. Menschen mit Demenz könnten manchmal verloren wirken, weil sie ihre Augen nicht gezielt bewegen, um die Umgebung um sich herum zu erfassen, auch nicht das Gesicht von Menschen, die sie gerade getroffen haben. In der Folge fiele es Demenzkranken später deutlich schwerer, Menschen wiederzuerkennen, weil sich deren Gesichtszüge nicht so stark eingeprägt hätten. Dieses frühe Problem könnte viel mehr mit einer ineffektiven Augenbewegung beim Einprägen neuer Gesichter zusammenhängen als mit einer reinen Gedächtnisstörung.

Hinzu kommt eine sich verschlechternde Kontrastempfindlichkeit der Augen. Daraus resultiert, dass Demenzerkrankte die Umrisse und Farbunterschiede weniger gut wahrnehmen. Betroffene bemerken das oft selbst nicht. Doch spezielle Untersuchungen können beispielsweise eine nachlassende Differenzierung des Blau-Grün-Spektrums schon sehr früh nachweisen.

Augentraining gegen den geistigen Verfall?

Könnte also der Schlüssel zu einer besseren Gedächtnisleistung nicht nur das bewährte Gehirnjogging sein, sondern ein spezielles Training für die Augen? Und lässt sich womöglich durch Augenbewegungen das Alzheimer-Risiko beeinflussen? Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Loughborough University sind sicher, dass sich diese Fragen in künftigen Untersuchungen beantworten lassen.

Vergangene Studien konnten zum Beispiel bereits nachweisen, dass gezielte Augenbewegungen durchaus die Gedächtnisleistung verbessern, was wiederum erklären könnte, weshalb Menschen, die mehr fernsehen und lesen, ein besseres Gedächtnis und ein geringeres Demenzrisiko haben als diejenigen, die dies nicht regelmäßig tun. In anderen Studien stellten Forschende fest, dass Augenbewegungen von links nach rechts und von rechts nach links, die sehr schnell ausgeführt werden (zwei Bewegungen pro Sekunde), das autobiografische Gedächtnis verbessern.

Eef Hogervorst plädiert aus diesen Gründen für eine weitere Forschung auf dem Gebiet. Sie betont allerdings auch, dass die bisherigen Verfahren zur Messung der Augenbewegungen aufgrund der hochkomplexen Technologie sehr teuer sind. Würde es gelingen, die Methoden besser zugänglich und die dabei zum Einsatz kommenden Eye-Tracker günstiger zu machen, könnte das bei der frühzeitigen Diagnose von Demenz helfen.