Die erste Milliarde Jahre der Evolution wird auch "boring billion" genannt, die langweilige Milliarde. Denn in dieser unvorstellbar langen Zeitspanne seit der Entstehung der ersten Lebensformen vor 3,5 Milliarden Jahren passierte: nicht viel. Nun könnte der Sensationsfund eines internationalen Forschungsteams das Bild des frühen Lebens aufpeppen.
In Gesteinsproben aus einer Quarzmine in der Nähe der Stadt Schytomyr im Westen der Ukraine fielen den Wissenschaftler*innen faden- und pilzartige, teils mehrere Millimeter große Strukturen auf. Eine Analyse der chemischen Bestandteile und des Alters zeigte: Es handelte sich nicht um geologische Phänomene – sondern um eingeschlossene Lebewesen. Deren Alter schätzt das Team auf mindestens 1,5 Milliarden Jahre. Damit sind die Mikro-Fossilien die ältesten, dreidimensional erhaltenen der Erde. Bislang ließen lediglich Abdrücke oder Spuren von Abbauprodukten auf die Existenz solcher Ur-Lebewesen schließen.

Zufallsfund unter dem Elekronenmikroskop
Die Entdeckung gelang dem Forschungsteam der TU Berlin, der Akademie der Wissenschaften der Ukraine, des Museums für Naturkunde Berlin sowie des Naturhistorischen Museums in Luxemburg eher zufällig. Denn eigentlich sollten lediglich die Mineralien Beryll und Topas aus der Mine erforscht werden. Unter dem Elektronenrastermikroskop fand der emeritierte Geologie-Professor Gerhard Franz von der TU Berlin "komische Fasern" auf dem untersuchten Beryll: Wie sich später herausstellte, exquisit erhaltene Fossilien früher Lebensformen auf der Erde.
Darunter auch bislang unbekannte Mikroorganismen mit schalen-, kugel- oder tentakelartigem Aufbau. "Was wir jetzt gefunden haben, ist viel wertvoller als alle Edelsteine“, sagt Gerhard Franz in einer Presseerklärung.
Die Ergebnisse der chemischen Analyse und der mikroskopischen Untersuchung deuten Franz zufolge auf einen "pilzartigen Organismus". Von anderen der fossilisierten Mikroorganismen könne man zumindest vermuten, "dass es sich um Ein- oder Mehrzeller mit ausgeprägten Zellstrukturen gehandelt haben muss". Wahrscheinlich, so Franz, lebten diese mit den Pilzen in einem gemeinsamen Ökosystem – tief unter der Erde. Denn die Mikroorganismen sind nicht, wie jüngere Fossilien, in den Sedimenten von urzeitlichen Gewässern eingeschlossen und konserviert worden, sondern im Erdinneren.
Ungewöhnliche Entstehung der Fossilien
"Auch heute leben Mikroorganismen bis zu drei Kilometer tief in der Erdkruste", erklärt Gerhard Franz. Ganz ohne Sonnenlicht ernähren sich die Lebewesen dort von Phosphor, Stickstoff, Kohlendioxid oder anderen Substanzen, die teils in Wasser gelöst durch Spalten nach unten sickern. Zum Verhängnis wurde den Mikroorganismen vor 1,5 Milliarden Jahren, dass das umgebende Gestein, der Granit, viel Fluor enthält. Der Stoff löste aus dem umgebenden Gestein Aluminium und Silizium, und das heiße, wässrige Gemisch drang von Zeit zu Zeit in die Spalten und Hohlräume unter der Erde. Und versah die Körper der urzeitlichen Wesen mit einer tödlichen Schutzhülle aus Aluminium-Silikat.