Ohne Wasser kein Leben. Ganz gleich, wo auf unserem Planeten Organismen gedeihen, ob im Wald, in felsiger Höhe, in der Steppe oder mitten in der Wüste: Tiere, Pflanzen, Pilze und auch alle Mikroben brauchen – und sei es nur in bestimmten Phasen ihres Daseins – das kostbare Nass, um dauerhaft zu überleben, sich fortzupflanzen, Nachkommen hervorzubringen.
Nicht zuletzt entstammt alles Leben auf der Erde ja genau jenem Element, dem Wasser. Genauer gesagt, den salzigen Fluten des Urozeans, in dem sich vor Jahrmilliarden erste Zellen gebildet haben. Sollten auf einem anderen Himmelskörper, irgendwo da draußen im All, Aliens leben: Auch sie, so schätzen Forschende, sind aller Wahrscheinlichkeit nach ans Wasser gebunden.
Das liegt unter anderem an einer wunderbaren Eigenschaft von H2O: Denn darin lösen sich unzählige Substanzen – chemische Verbindungen, die alle Zellen brauchen. Minerale etwa, Eiweiße, Zucker. Die Stoffe können so im Organismus miteinander interagieren, von A nach B transportiert werden und, falls es sich um Gifte oder Abfallstoffe handelt, bequem entsorgt werden. Wasser ist gar so ein gutes Lösungsmittel, dass es in der Natur gar kein reines H2O gibt. So sind überall auf der Erde, selbst in kristallklaren Seen, etwa Salze darin gelöst.
Die Dosis macht das Gift: Ab einer gewissenen Konzentration scheint Leben nicht mehr möglich
Doch ab einer gewissen Konzentration von Salzen verliert das Wasser seine lebensspendende Wirkung. Die Dosis, sie macht das Gift. Daher lassen sich zum Beispiel Lebensmittel dadurch konservieren, dass man sie in einer Salzlake einlegt. Doch wieviel Salz im Wasser können Organismen ertragen? Wo liegt die Grenze, hinter der kein Leben mehr möglich ist?
Solche Fragen beschäftigen die Wissenschaft seit langem. Nicht bloß, um auszukundschaften, welchen irdischen Extrembedingungen die zähsten aller Organismen noch trotzen. Sondern auch, um auszuloten, wie groß potenzielle "habitable Zonen" auf anderen Planeten sind – in unserem Sonnensystem und weit darüber hinaus.
Nun zeigen neue Studien unter der Leitung von Wissenschaftlern der Stanford University, dass manche Mikroben in einem Milieu zurechtkommen, das vormals als gänzlich lebensfeindlich galt. Die Arbeiten sind Teil eines großen Forschungsvorhabens namens "Oceans Across Space and Time", das von der Abteilung für Astrobiologie der NASA finanziert wird und in dem führende Geochemiker, Mikrobiologinnen und Planetologen zusammenkommen. Ihre Studienergebnisse, publiziert im Fachblatt ScienceAdvances, erweitern nun die Grenze, innerhalb der es Leben geben kann, auf der Erde wie auf Exoplaneten.
Für ihre Suche nach den Extremisten unter den Extremisten haben die Forschenden eine wahrlich fremdartig anmutende Gegend in den Fokus genommen: die "South Bay Salt Works" – eine Salzfabrik im Süden Kaliforniens. In weitläufigen Seen verdunstet dort unter sengender Sonne Wasser aus dem Pazifik, wird so salziger und salziger, bis der Stoff kristallin ausfällt.
Trotz der unwirtlichen Umstände finden sich in den Gewässern einige Mikroben, die hohe Salzgehalte tolerieren und die Laken teils rostrot, pink oder neongrün leuchten lassen. Die Überlebenskünstler tragen Namen wie Psychroflexus, Spiribacter oder Halolamina. Doch ab einer bestimmten Konzentration sind auch sie nicht mehr imstande, ihren Stoffwechsel aufrecht zu erhalten, sich zu vermehren. Grob kann man sich das so vorstellen: Je mehr Salz gelöst ist (das Gleiche gilt auch für andere Substanzen wie etwa Zucker), desto weniger "frei verfügbares Wasser" kann eine Zelle für biologische Reaktionen in ihrem Inneren nutzen. Ab einem gewissen Punkt geht sie ein.
Das Wasser, aus denen die Forschenden die Proben entnahmen, war teils so dickflüssig wie Sirup
Für diese "Wasserverfügbarkeit" haben Wissenschaftler ein Maß – den aw-Wert: Destilliertes Wasser hat einen Wert von 1, ein völlig wasserfreies Medium hat einen Wert von 0. Alles andere liegt dazwischen – Fruchtsaft zum Beispiel bei 0,97, Honig bei 0,75. Schon unter einem aw-Wert von 0,9 können sich die allermeisten Mikroorganismen nicht mehr vermehren.
Frühere Untersuchungen ergaben, dass keinerlei mikrobielles Leben unter einem aw-Wert von 0,63 mehr möglich sei. Dafür schaute man bislang in Laborkulturen darauf, ob sich in einer entsprechend hohen Salzlösung Bakterienzellen noch teilen konnten. Sich also verdoppelten. Und das taten sie offenbar nicht.
Der Ansatz hat allerdings einen Haken: Je extremer die Bedingungen werden, desto langsamer arbeitet der Stoffwechsel der Mikroben. Und desto länger dauert es, bis sie sich teilen können. Mitunter können für eine solche Verdopplung Jahre vergehen. Mehr Zeit, als die meisten Forschungsprojekte einräumen.
Daher verfolgten die Wissenschaftler von "Oceans Across Space and Time" eine andere Methode: Sie entnahmen ihre Proben direkt aus den unterschiedlich hoch konzentrierten Salzlaken der Fabrikgewässer. Und: Sie warteten nicht darauf, ob und bis sich die Mikroben teilten. Obendrein definierten sie den Begriff "Lebensfähigkeit" anders – und zwar so, dass eine Zelle imstande ist, organische Verbindungen in ihrem Inneren aufzubauen, also zu wachsen.

Mit einem Hightech-Verfahren analysierten sie, inwieweit einzelne Zellen Stickstoff und Kohlenstoff (Elemente, die in organischen Molekülen vorkommen) in sich aufnahmen. Und fanden heraus, dass einige Zellen dieses Wachstum selbst bei einem aw-Wert von bis zu 0,54 offenbarten. Die Proben stammten teils aus so salzigen Bereichen der Fabrikgewässer, dass sie dick wie Sirup waren.
Es ist schon überaus erstaunlich, was manche Organismen aushalten, wo sie noch zu überleben vermögen. Wer weiß, ob die Grenze des Lebens sich durch zukünftige Untersuchungen ein weiteres Mal verschiebt.
Fest steht: Falls es jenseits der Erde ebenfalls zu jener wundersamen Genese des Seins gekommen ist und damit zu einer außerirdischen Evolution, gehören nun weitere Zonen dazu, in denen man bislang Leben für undenkbar hielt. Und unter den zahllosen Planeten, die in der Galaxie kreisen, finden sich fortan wohl interessante Kandidaten, auf die sich der Blick von Astrobiologen bislang nicht gerichtet hat.