Es war ein traumhafter Morgen im Frühjahr 1997, als Mike Coots vor Kaua'i, einer Insel im Hawaii-Archipel, eine Welle hinabglitt, mit der sich sein Leben für immer verändern sollte. Er hatte gerade das Abitur hinter sich, genoss seine Freizeit und war, wie so oft, gemeinsam mit ein paar Freunden schon kurz vor Sonnenaufgang in die Brandung hinausgepaddelt. Seine Leidenschaft galt dem Bodyboarding: Er genoss das Gefühl, mit ein paar wenigen Flossenschlägen auf seinem kleinen Brett in gigantische, schnelle Wellen hineinzugleiten. Die Kraft des Meers ließ ihn schweben, als könne er fliegen.
An diesem Morgen aber kam Coots nicht weit: Beim Anpaddeln einer Welle, in etwa 10 Meter tiefem Wasser, spürt er plötzlich, wie scharfe Zähne sich in sein rechtes Bein bohrten. "Mir war sofort klar, dass ein Tigerhai mich erwischt hatte", erinnert sich Coots. "Er war aus dem Nichts aufgetaucht, aus der Tiefe. Mit seinem markanten, eckigen Kopf hob er mich aus dem Wasser, und alles war voller Blut!" Der Hai riss Coots mit sich, wirbelte ihn in der Brandung wild hin und her. Erst als der Surfer ihm instinktiv mit der Faust auf die Nase schlug, ließ der Jäger sein Opfer los, und Coots rettete sich ans Ufer. Doch sein rechtes Bein, unterhalb seines Knies – war verschwunden.
Coots hatte Glück, dass er überlebte. Mit der Leine des Surfbretts band ein Freund ihm den Oberschenkel fest ab, um die Blutung zu stoppen. Erst im Krankenhaus kam der 18-Jährige wieder zu sich.
Ein Schicksalsschlag, nach dem viele wohl niemals wieder ins Wasser gegangen wären. Mike Coots aber liebt die Wellen, die Tiefe. "Im Salzwasser fühle ich mich zu Hause", sagt er. "Das Schlimmste am Unfall war deshalb eigentlich für mich nicht, dass ein Bein fehlte, sondern dass ich wochenlang nicht ins Meer zurück konnte."
Mit der Prothese zurück ins Meer: In den Wellen fand Coots wieder Lebensmut - und eine Mission
Nur rund einen Monat nach seinem Unfall wagte sich Coots wieder in die Brandung hinaus. Er lernte, mit einer Beinprothese auf einem Longboard zu balancieren. Aber auch: Depressionen zu überwinden, die Scham. Und für seine zweite, besondere Leidenschaft neben dem Surfen, die Fotografie, tauchte er immer öfter mit Haien, unter anderem auch mit Tigerhaien. Er lernte sie anders kennen: als elegante und majestätische Wesen, für die wir Menschen weniger Beute als viel mehr Bedrohung sind. "Ich hatte bis dahin gar keine Ahnung, was wir den Tieren antun", sagt Coots. "Wir haben sie bis an den Rand der Vernichtung gebracht!"
So wurde der Surfer vom Opfer zum Anwalt der Haie: In Vorträgen, Filmen und mit bewegenden Fotoporträts engagiert er sich seither weltweit für strengere Gesetze zu ihrem Schutz. "Manche halten mich für verrückt, aber ich bin in einer besonderen Situation, um unser Bild von den Haien als "Monster" zu ändern und mehr Verständnis zu wecken für ihre Bedeutung im Ozean."
Charaktere der Tiefe: Haie im Porträt

Charaktere der Tiefe: Haie im Porträt
Erst vor wenigen Wochen bestätigte eine Forschungsstudie in der Fachzeitschrift "Science": Obwohl Haie seit mehr als 400 Millionen Jahren die Meere durchkreuzen, gehören sie zu den am stärksten bedrohten Tiergruppen auf der Erde. Viele Haie werden allein ihrer Flossen wegen gejagt, die in Asien als Delikatesse gelten.
Während an Hai-Attacken im Jahr 2023 weltweit zehn Menschen gestorben sind, kommen durch menschliche Gier pro Jahr umgekehrt mehr als 100 Millionen Haie um. Die Studie bewies allerdings auch: Durch schärfere Umweltgesetze, die unter anderem die Jagd auf Haiflossen mit empfindlichen Strafen belegen, können die Opferzahlen unter den Raubfischen deutlich gesenkt werden.
"Haie stehen an der Spitze der Nahrungspyramide im Ozean", sagt Coots, "Wenn sie verschwinden, gerät das gesamte System aus dem Gleichgewicht. Und es sind fantastische, temperamentvolle Tiere. Tigerhaie zum Beispiel können ihre Gefühlslage von einem Moment auf den anderen ändern. Viele sind eigentlich ziemlich schüchtern."

Aus den Unterwasserfotos, die Coots seit Jahren von Haien zusammengetragen hat, ist vor kurzem ein Bildband entstanden: eine Porträtgalerie – und ein beindruckendes Plädoyer, den zu Tode gejagten Jägern mit mehr Respekt zu begegnen.
"In meinen Vorträgen merke ich oft, dass ich mit meiner Geschichte andere Opfer von Unfällen inspirieren kann, niemals aufzugeben", sagt Coots. "Und wenn ich sehe, wie sehr sich vor allem Kinder für Haie begeistern, denke ich: Es gibt Hoffnung für unsere Meere. Ich bereue es nicht, dass ich damals surfen gegangen bin. Durch meinen Unfall habe ich sehr viel Neues gelernt, neue Abenteuer erlebt, viele spannende Menschen getroffen. Ich würde nichts daran ändern wollen, selbst wenn ich es könnte. Vielleicht war der Tag mein Glück."