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Indopazifik In den Tiefen von Raja Ampat: Expedition zu den artenreichsten Korallenriffen der Welt

Nirgendwo scheint das Leben im Meer facettenreicher zu sein als im indonesischen Archipel Raja Ampat: Riesige Fischschwärme, flammende Sepien und Haie mit Zottelmäulern ziehen hier über die Riffe. Weshalb hat gerade diese Region eine so große Artenvielfalt hervorgebracht? Ein GEO-Expedition bricht auf, um das Zentrum der Unterwasserwelt zu erforschen
Mann zieht das Tau ein.
Voller Einsatz: Über Wochen erkundet das GEO-Expeditionsteam einsame Riffe, die vorher noch nie erforscht wurden. Um Ankerschäden zu vermeiden, sichert die Crew das Schiff nachts oft bloß mit Leinen an Land
© Tim Laman

Er hat gewartet, bis die Nacht sich über die Bucht legte, die Stimmen des Regenwalds dämpfte und dem Riff seine Farben nahm. Bis die Silhouette unseres Schiffes sich in der Dämmerung auflöste und schließlich selbst zwischen Wasser und Land, Palmen und Felsklippen, Osten und Westen, kein Unterschied mehr zu erkennen war. Dann, als das Meer endlich vollkommen schwarz erschien, ist Mark Erdmann gesprungen, und ich bin ihm gefolgt. Nun allerdings kommen mir Zweifel, ob das eine kluge Idee war. 

Vor der Küste Misools, etwa zwölf Meter unter dem Meeresspiegel, wandern die Lichtstrahlen unserer Scheinwerfer über das Riff. Ein paar Armlängen weit reichen sie durch das nächtliche Wasser, schälen Gorgonienfächer und Schwammkolonien für einen Augenblick aus der Finsternis, wecken Papageien- und Kofferfische, die im Korallendickicht zu schlafen versuchen. 

Schemen von Fischschwärmen, Wolken aus Plankton driften vorbei: spukhafte Schatten, die nur vage erahnen lassen, welche Geschöpfe noch im Verborgenen kreisen. Darunter wahrscheinlich auch Kreaturen, wie sie niemals ein Mensch gesehen hat. Und die bloß Zentimeter entfernt neben uns herziehen könnten, ohne dass wir sie bemerken würden.  

All dies male ich mir mit wachsendem Unbehagen und schrumpfendem Luftvorrat aus, während wir immer tiefer in diesem rätselhaften Kosmos versinken. Die nächste größere Siedlung liegt mehr als 100 Seemeilen entfernt; den ganzen Tag über haben wir, abgesehen von ein paar winzigen Auslegerkanus, kein Schiff mehr getroffen. Nicht einmal die Strömungen, die uns an der Kante des Riffes erwarten, vermögen wir einzuschätzen. Dabei sind diese Gewässer für abrupte Gezeitenwechsel und tückische Wasserstrudel berüchtigt, die wie aus dem Nichts kommend einen Taucher ins offene Meer – oder schlimmer noch: in die Tiefe – verdriften können. 

Mark Erdmann allerdings scheint sich darüber keine Gedanken zu machen. Unbeirrt folgt er seinem Kompass nach Südosten, geradewegs jenem Abhang entgegen, an dem das Riff in die Weite des Ozeans mündet. 

Erschienen in GEO 01/2008