Mensch-Hund-Beziehung Hunde riechen unsere Angst – reagieren aber völlig anders als bislang gedacht

Hundeschnauze
"Ich rieche Angst" – auf diese Wahrnehmung reagieren Hunde auf verschiedene Art. Manche ziehen sich zurück, andere werden aggressiv oder suchen Nähe
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Hunde sind wahre Meister im Lesen menschlicher Gefühle. Mit ihren feinen Nasen können sie sogar Angst riechen. Sie reagieren darauf aber höchst unterschiedlich, zeigt eine neue Studie

Eine aktuelle Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien liefert neue Erkenntnisse darüber, wie Hunde auf menschliche Angst-Chemosignale reagieren: Während Hunde menschlichen Angstschweiß zwar zuverlässig wahrnehmen, zeigen sie dabei keine einheitlichen Verhaltensweisen, sondern reagieren höchst unterschiedlich – von vorsichtiger Vermeidung bis hin zu verstärkter Neugier.

Die Forschungsarbeit des Domestication Lab am Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung, veröffentlicht im Fachmagazin "Frontiers in Veterinary Science", stellt damit eine langjährige wissenschaftliche Annahme infrage: dass Hunde menschliche Angstgerüche instinktiv meiden.

61 Hunde getestet

Für seine Untersuchung entwickelte das Team um Svenja Capitain einen raffinierten Versuchsaufbau: 61 Hunde wurden in zwei Gruppen unterteilt und verschiedenen Geruchsproben ausgesetzt. Die Versuchsgruppe erhielt zwei Zielobjekte – eines mit Angstschweiß und eines mit neutralem menschlichem Geruch. Der Kontrollgruppe wurden hingegen zwei neutral riechende Objekte präsentiert.

Entscheidend dabei: Die Schweißproben stammten von 16 Studentinnen, die zuerst einen entspannenden Naturfilm und anschließend einen Horrorfilm angeschaut hatten. Die anwesenden Versuchsleiter wussten nicht, welcher Geruch sich in welchem Objekt befand – so war sichergestellt, dass die Hunde ausschließlich auf den Geruch selbst reagierten und nicht auf unbewusste Signale der Menschen.

Überraschende Vielfalt der Reaktionen auf Angstgeruch

Die Ergebnisse zeigten eindeutige Unterschiede zwischen den beiden Gruppen: Hunde, die dem Angstgeruch ausgesetzt waren, verbrachten mehr Zeit in der Nähe des Versuchsleiters, zeigten häufiger eine gesenkte Schwanzhaltung und benötigten länger, um sich den Zielobjekten zu nähern. Diese Verhaltensweisen deuten auf Unbehagen und Zögern hin.

Das überraschende Ergebnis jedoch: Auch die Reaktionen der Hunde, die Angstgeruch erschnuppert hatten, fielen höchst unterschiedlich aus. Während einige von ihnen erwartungsgemäß den Angstgeruch mieden, näherten sich andere ihm sogar schneller als dem neutralen Geruch. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Hunde von menschlichen Angstgerüchen beeinflusst werden, ihre Reaktionen jedoch alles andere als einheitlich sind", so Erstautorin Svenja Capitain in einer Mitteilung der Universität. "Diese Variabilität könnte durch Faktoren wie Lebenserfahrung, Training oder sogar Rasse beeinflusst werden." Interessanterweise zeigten Alter und Geschlecht der Hunde keinen signifikanten Einfluss auf die Reaktionen.

Verbindung zu früheren Forschungserkenntnissen

Die aktuelle Wiener Studie reiht sich in wegweisende Forschungsarbeiten ein, die in den vergangenen Jahren die außergewöhnlichen olfaktorischen Fähigkeiten von Hunden bei der Wahrnehmung menschlicher Emotionen belegten. Bereits 2017 konnte ein italienisches Forschungsteam um Biagio D'Aniello von der Universität Neapel Federico II in einer viel beachteten Studie zeigen, dass Hunde menschliche Angst nicht nur riechen können, sondern von dieser Wahrnehmung auch selbst körperlich gestresst werden. Die Vierbeiner zeigten eine erhöhte Herzfrequenz, suchten verstärkt Blickkontakt zu ihren Besitzern und mieden den Kontakt zu fremden Personen.

Diese Erkenntnisse wurden im Jahr 2022 durch weitere Studien untermauert, als ein britisches Forschungsteam der Queen's University Belfast bewies, dass trainierte Hunde mit einer Trefferquote von fast 94 Prozent Stress bei Menschen allein anhand von Atem- und Schweißproben erkennen können.

Emotionale Ansteckung: Hunde fühlen mit

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten zudem nachweisen, dass die Wahrnehmung menschlicher Emotionen bei Hunden weitreichende Konsequenzen hat. Studien der schwedischen Universität Linköping belegten eine regelrechte "emotionale Ansteckung": Wenn Menschen gestresst sind, steigt auch der Cortisol-Spiegel ihrer Hunde. Dieser physiologische Nachweis untermauert, dass Hunde die Gefühle ihres Menschen nicht nur wahrnehmen, sondern buchstäblich mitempfinden.

Und eine Studie der Universität Bristol aus dem Jahr 2024 ging noch einen Schritt weiter: Hunde, die Stressgerüchen ausgesetzt waren, zeigten ein "pessimistischeres" Verhalten bei Entscheidungsaufgaben – die Vierbeiner erwarteten eher negative Ergebnisse und näherten sich unbekannten Situationen zögerlicher.

Weitere Forschungsarbeiten konnten in diesem Jahr zeigen, dass sich die Herzfrequenz von Hunden und ihren Besitzern während gemeinsamer Aktivitäten synchronisiert. Diese "emotionale Co-Modulation" funktioniert sogar ohne direkte Interaktion – die Tiere orientieren sich automatisch am emotionalen Zustand ihrer Bezugspersonen.

Praktische Bedeutung für Erziehung und Hundetherapie

Die Ergebnisse der aktuellen Wiener Studie könnten praktische Auswirkungen auf die Hundeausbildung, die Auswahl von Therapiehunden und die Verbesserung der Interaktion zwischen Mensch und Hund haben. Das Verständnis darüber, warum manche Hunde sich Angstgerüchen nähern, während andere sie meiden oder sogar selbst gestresst werden, könnte dazu beitragen, das Wohlbefinden von Hunden zu verbessern und sogar potenzielle Sicherheitsprobleme zu vermeiden, wie zum Beispiel aggressive Reaktionen der Vierbeiner auf ängstliche Personen.

"Unsere Forschungsarbeit unterstreicht, wie wichtig es ist, individuelle Unterschiede im Verhalten von Hunden zu betrachten", betont Svenja Capitain. "Indem wir uns von der Annahme der Gleichförmigkeit lösen, können wir unsere vierbeinigen Begleiter besser verstehen und dabei unterstützen, sich in der Welt der Menschen zurechtzufinden."

Auch im Alltag können solche Erkenntnisse entscheidend sein, denn sie unterstreichen die Verantwortung von Hundehalterinnen und Hundehaltern: Da Hunde so empfänglich für menschliche Emotionen sind, wirkt sich der emotionale Zustand der Besitzer direkt auf das Wohlbefinden der Tiere aus. Dies sollte bei der Hundeerziehung und im täglichen Umgang mit den Vierbeinern berücksichtigt werden.

Die aktuelle Forschung zeigt: Hunde sind keine einheitlich reagierenden "Angst-Detektoren", sondern Individuen mit unterschiedlichen emotionalen Reaktionsmustern. Das gibt uns die Chance, auch unser grundlegendes Verständnis der einzigartigen Beziehung zwischen Mensch und Hund zu vertiefen.

Die Wiener Forscherinnen hoffen, dass künftige Studien den Einfluss von Lebenserfahrung, Training und Rasse bei den Reaktionen der Hunde auf menschliche Angst-Chemosignale in den Fokus rücken werden. Und sie schlagen vor, der Frage nachzugehen, wie Umweltfaktoren – beispielsweise vertraute gegenüber unbekannten Orten – diese Reaktionen beeinflussen könnten.