Gesellschaft Wissenschaftlich nachgefragt: Sind Hunde die beliebteren Kinder?

Teddy statt Hundehütte: Immer häufiger rutschen Haushunde in die Rolle des Kindes
Teddy statt Hundehütte: Immer häufiger rutschen Haushunde in die Rolle des Kindes
© Roger Wright / Getty Images
Mama, Papa, Hund: Während die Zahl der Vierbeiner in Deutschland wächst, sinkt die Geburtenrate. Forschende untersuchen, warum Hunde für viele Menschen die Kinderrolle übernehmen

Ob Leberwurstkuchen zum Geburtstag, teures Designer-Körbchen, frisch gekochtes Gourmet-Futter oder plastikfreies Öko-Spielzeug: In vielen Haushalten werden Hunde heute verwöhnt wie kleine Kinder. Während die Geburtenraten in Deutschland – wie in vielen anderen Ländern – sinken, wächst die Zahl der Haushalte mit Hund hingegen stetig. Rund sieben Millarden Euro gaben die Deutschen im vergangenen Jahr für Tiernahrung und Zubehör aus – ein Beleg dafür, welch große Rolle die Vierbeiner in unserem Leben spielen.

Doch gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen Entwicklungen? Dieser Frage sind ungarische Wissenschaftlerinnen nachgegangen und haben ihre Ergebnisse unter dem Titel "Redefining Parenting" ("Elternschaft neu definiert") im Fachjournal "European Psychologist" veröffentlicht.

Hunde sind oft vollwertige Familienmitglieder

Dabei stellten die Forscherinnen Laura Gillet und Enikő Kubinyi von der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest fest: Immer mehr Erwachsene haben im Alltag kaum noch Kontakt zu kleinen Kindern. In westlichen und ostasiatischen Gesellschaften übernehmen Haustiere, insbesondere Hunde, zunehmend die Rolle enger Gefährten – und werden oft als vollwertige Familienmitglieder betrachtet. "Immer mehr Besitzerinnen und Besitzer sehen in ihren Hunden sogar eine Art Kind", so Gillet und Kubinyi.

Je nach Lebenssituation kann der Hund dabei ganz unterschiedliche Rollen im Familiengefüge einnehmen: Für junge Singles ist er Mitbewohner oder bester Freund, für frisch verheiratete Paare das "erste Kind", in Familien mit kleinen Kindern Spielkamerad und für Ältere, deren Kinder ausgezogen oder Partner verstorben sind, ein Trost gegen die Einsamkeit.

"Kümmere dich um mich!"

Der Grund für diese enge Bindung zwischen Menschen und ihren Hunden liegt laut den Wissenschaftlerinnen in einem tief verwurzelten menschlichen Bedürfnis: dem Wunsch, sich um jemanden zu kümmern. Während dieses Bedürfnis früher meist durch eigene Kinder erfüllt wurde, richtet es sich heute bei vielen Menschen immer mehr auf Haustiere – vor allem auf Hunde.

Doch warum nehmen ausgerechnet Hunde in vielen Haushalten den Platz von Kindern ein? Die Tiere erfüllten teilweise sehr ähnliche Funktionen, erläutern Laura Gillet und Enikő Kubinyi nach der Auswertung verschiedener Studien zum Thema im Fachjournal "European Psychologist".

Denn Hunde können, so die Forscherinnen, ähnlich enge Bindungen zu ihren Bezugspersonen aufbauen wie Kleinkinder. Mit einem entscheidenden Unterschied: Während Kinder mit der Zeit selbstständig werden, bleiben Hunde ihr Leben lang auf die Fürsorge von Herrchen und Frauchen angewiesen.

Hundeblick: Was Hunde uns mit ihren Blicken sagen wollen
Was Hunde uns mit ihren Blicken sagen wollen

Oxytocin und Kindchenschema

Auch äußerlich sprechen Hunde mit ihren oft kindlichen Merkmalen – große Augen, runder Kopf – den menschlichen Fürsorgeinstinkt an. Viele Hundebesitzerinnen und -besitzer investieren viel Zeit und Energie in die Pflege ihres Lieblings und stellen dessen Wohl manchmal sogar über das eigene. "Diese offensichtlich große Hingabe lässt sich mit dem Konzept der intensiven Mutterfürsorge vergleichen", schreiben Gillet und Kubinyi.

Schon länger ist bekannt, dass das Hormon Oxytocin (auch "Kuschelhormon" genannt) für die besonders enge Bindung zwischen Mensch und Hund mitverantwortlich ist. Es ist dasselbe Hormon, das bei der Mutter-Kind-Bindung oder ähnlich intensiven zwischenmenschlichen Beziehungen eine entscheidende Rolle spielt.

Ein weiterer Trend, der zeigt, wie stark die Vermenschlichung von Hunden in manchen Gesellschaften vorangeschritten ist, ist das Phänomen der "Button Dogs" - Hunde, die mithilfe von Tasten mit eingesprochenen Wörtern scheinbar "sprechen". Die Tasten erlauben es Hunden, Bedürfnisse und Wünsche auszudrücken, die dann von den Halterinnen und Haltern wie kindliche Bitten interpretiert werden: "Hilfe", "Hunger", "spielen" – Begriffe, die auch im Wortschatz kleiner Kinder vorkommen. 

Die Begeisterung für diese Form der Kommunikation zeigt sich nicht nur in Millionen verkaufter Button-Boards, sondern auch in den sozialen Netzwerken, wo Videos von "sprechenden“ Hunden" viral gehen und emotionale Reaktionen hervorrufen. Die Interaktion, bei der Hunde mit Tasten Wünsche äußern und Menschen darauf reagieren, erinnert stark an die Dynamik zwischen Eltern und Kleinkindern, die ihre ersten Worte sprechen.

Studien zeigen, dass Hunde kognitive Fähigkeiten besitzen, die an die sozial-kommunikativen Kompetenzen von Kleinkindern erinnern, was es Menschen erleichtert, sie wie kleine Kinder zu behandeln. Die Button-Technologie verstärkt diesen Effekt, indem sie Hunden eine "Stimme" gibt, die an die ersten, noch einfachen Sätze eines Kindes erinnert.

Im Ernstfall gilt: Mensch vor Hund

Dennoch sind die beiden ungarischen Forscherinnen der Meinung, dass man Hunde nicht als Kindersatz verallgemeinern dürfe. Viele Menschen entschieden sich ganz bewusst für einen Hund – gerade weil die Beziehung zu einem Tier anders sei als die zu einem Kind. Studien zeigen: Für viele Halter sei es sogar gerade attraktiv, dass Hunde eben keine Kinder seien, so Gillet und Kubinyi.

Auch im Ernstfall zeigt sich der Unterschied: In Umfragen geben die meisten Menschen an, im Zweifel das Leben eines Menschen – insbesondere eines Kindes – dem eines Hundes vorzuziehen. Und während die Beziehung zu einem Hund im Laufe des Lebens auch enden kann, ist das bei Kindern selten der Fall.

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Gillet und Kubinyi betonen auch: Nicht überall auf der Welt sei das Verhältnis zu Hunden gleich eng. In den USA bezeichneten sich viele Hundehalterinnen und Hundehalter im privaten Kreis als "Mami" oder "Papi" ihres felligen "Kindes". Im beruflichen Umfeld oder gegenüber Fremden wählten sie hingegen meist neutralere Begriffe. In anderen Ländern wiederum bleibt das Verhältnis zwischen Mensch und Hund deutlich distanzierter.

Fest steht: Hunde sind für viele Menschen mehr als nur Haustiere – sie sind Familienmitglieder, Freunde, manchmal sogar Seelentröster. Und sie spiegeln gesellschaftliche Veränderungen wider. Das macht die Beziehung zwischen Mensch und Hund zu einem spannenden Forschungsfeld. Mit modernen wissenschaftlichen Methoden und innovativen Technologien, etwa KI-gestütztem Hundetraining oder smarten Trackern, eröffnen sich neue Perspektiven für Forschung und Alltag. Künftig wird das Verständnis dieser besonderen Beziehung nicht nur unser Wissen über Hunde vertiefen, sondern auch helfen, das Zusammenleben harmonischer und verantwortungsvoller zu gestalten – für Mensch und Tier gleichermaßen. Und vielleicht auch uns selbst helfen, uns Menschen besser zu verstehen.

mit Material der dpa