Insekten im Essen? Igitt! Das ist – nur leicht verkürzt – der Tenor der Reaktionen auf die EU-Zulassung von Grillen und anderen Insekten in Nahrungsmitteln. Doch frittierte Sechs- oder Achtbeiner auf dem Teller sind das eine. Mengenmäßig weitaus interessanter dürften Insekten für die Tierindustrie sein. Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied im Umwelt- und Gesundheitsausschuss frohlockte kürzlich, er sehe vor allem für die Futtermittelproduktion "großes Potenzial".
Häusling schwärmte von den Inhaltsstoffen der Tiere, als habe man soeben ein unerschöpfliches Vorkommen eines kostbaren Rohstoffs entdeckt. Das smarterweise auch noch das Imageproblem unseres Tierkonsums aufhübschen könnte. Schließlich müssten nun entsprechend weniger Fischmehl oder Sojaschrot verfüttert werden. Mit Grillen und Mehlwürmern gegen Überfischung und Regenwald-Vernichtung. Das ist genau das Narrativ jener Unternehmen, die jetzt Morgenluft wittern. Leider ist es falsch.
Mit Massentierproduktion die Massentierproduktion stützen zu wollen, ist Irrsinn, im besten Fall Greenwashing. Denn so würden die Probleme der millionenfachen Ausbeutung von Wirbeltieren lediglich auf eine weitere Tiergruppe ausgedehnt. Mit weitgehend unbekannten Folgen für die Umwelt und katastrophalen Folgen für die Tiere.
Empfinden Insekten Schmerzen? Wollen sie leben?
Ausdrücke wie "Ausbau der Insektenproteine" (Häusling) kaschieren nur mühsam, dass den Sechsbeinern jegliche Empfindungsfähigkeit, jedes Recht auf Leben von vornherein abgesprochen wird – um sie desto sorgloser in die ökonomische Verwertungslogik einfügen zu können.
Dabei wissen wir kaum etwas darüber, ob, was und wie Insekten denken oder fühlen, wie sie die Welt sehen. Nicht einmal die simpel anmutende Frage, ob sie Schmerzen empfinden, ist abschließend geklärt. Ausgerechnet bei der Fruchtfliege, einem in Tierexperimenten massenhaft eingesetzten Insekt, fanden Forschende Schmerzrezeptoren. Manche Insekten sollen sogar unter chronischen Schmerzen leiden.
Der einflussreiche Philosoph René Descartes behauptete, Tiere seien Automaten, keiner Empfindung fähig. Man könnte meinen, Verhaltensbiologie und Moralphilosophie hätten vier Jahrhunderte lang geschlafen, wenn im Jahr 2023 weder die Haltung noch die Tötung von Insekten unter Tierschutz-Gesichtspunkten reglementiert ist; wenn die Frage, ob und mit welcher Begründung man sie überhaupt töten darf, gar nicht erst gestellt wird.
Wir wissen es heute doch besser: Tiere – und dazu zählen auch die Insekten – sind weder fühllose Automaten noch Rohstoff zu menschlicher Verfügung. Sie sind Leben, das Leben will, wie Albert Schweitzer formulierte. Es wird Zeit, das Offensichtliche anzuerkennen.