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Naturschauspiel Wie Bäume ihr Aufblühen absprechen: Peter Wohlleben über das Geheimnis des Frühlingserwachens

Es kommt jedes Frühjahr einem Wunder gleich, wenn sich aus Knospen fantastische Blätter und Blüten schieben. Dieses Schauspiel ist nur möglich, weil viele Gewächse überaus vorausschauend planen
Bäume müssen die Entscheidung, ob sie blühen möchten oder nicht, mindestens ein Jahr im Voraus planen
Bäume müssen die Entscheidung, ob sie blühen möchten oder nicht, mindestens ein Jahr im Voraus planen
© Ramon Haindl

Knospen sind kleine Wunderwerke. In ihnen liegen, perfekt zusammengefaltet, Blüten und Blätter für das kommende Frühjahr. Wenn das Startsignal da ist, treiben sie mit dem Druck des Wassers aus, das über die Wurzeln in die Pflanzen hineingepumpt wird. Dabei werden die feinen Härchen sichtbar, die im Inneren der Knospe verhindert haben, dass das zarte Laub verklebt.

Im Austreiben wachsen Blätter und Blüten aber noch kräftig, denn ihre endgültige Größe wäre doch zu groß für die winterliche Verpackung.

Aprikose: Bald werden diese Knospen die zartweißen Blüten der Aprikose zum Vorschein bringen. Oft geschieht dies bereits ab März – mit der Gefahr von Spätfrösten
Aprikose: Bald werden diese Knospen die zartweißen Blüten der Aprikose zum Vorschein bringen. Oft geschieht dies bereits ab März – mit der Gefahr von Spätfrösten
© Alexandre Petzold/Flora Press

Außerdem ist diese Strategie der Vorsicht geschuldet: Wenn das gesamte Laub in der endgültigen Größe bereits im vorhergehenden Jahr angelegt worden wäre, dann würde jeder Verlust eines Zweiges, etwa durch einen winterlichen Sturm, mehr Verlust an Energie bedeuten.

Für Tiere wären solche Riesenknospen ein gefundenes Fressen in der nahrungsarmen Winterzeit – mit dem Resultat, dass so mancher Baumriese im Frühjahr ohne die Möglichkeit auszutreiben erwachen würde.

Erschienen in Wohllebens Welt Nr.1 (2022)