Jedes Jahr im Herbst, wenn die Tage kürzer werden und die Temperaturen sinken, führt die Natur ein beeindruckendes Schauspiel auf. Die zuvor in Grün gehüllten Laubwälder entflammen nun in leuchtenden Tönen: Von blassem Rosa über Rostrot bis zu sattem Purpur reichen die Nuancen, von lichtem Ocker bis zu knalligem Orange.
Wer jetzt durch einen Park, einen Wald oder den eigenen Garten streift, der erlebt ein Fest der Farben, die Wildnis im Wandel. Ein paar Wochen lang hüllen sich Bäume und Büsche ins herbstliche Gewand, dann ist das visuelle Feuerwerk vorbei. Denn der betörende Farbenrausch ist der Vorbote des Todes: Bald werden die Blätter vertrocknen, abfallen, verfaulen. Die Bäume opfern sie – um selber den Winter zu überstehen.
Der Grund: Bei der kurzen Sonnenscheindauer und den niedrigen Temperaturen im Winter würde das Laub kaum Vorteile bringen, zugleich aber das Risiko von Sturm- und Schneeschäden erhöhen. Zudem würden ohnehin viele Blätter durch Frost und schlechte Wasserversorgung verloren gehen.

Daher trennt sich der Baum im Herbst gezielt von seinem Laub und versucht zuvor noch, möglichst viele der wertvollen, oft mühsam aus dem Boden aufgenommenen Stoffe zu retten, die in den Blättern gebunden sind – etwa den besonders wichtigen Stickstoff sowie Phosphor, Schwefel, Kalium und Magnesium.
Das Innenleben der Blätter pulsiert im Herbst
Das Leben in den Blättern pulsiert daher ausgerechnet im Herbst besonders intensiv. Zu kaum einem Zeitpunkt ist der Stoffwechsel dort so aktiv wie in diesen Tagen: 60 Prozent aller Eiweißverbindungen in den Blättern werden umgeformt – sie werden aufgespalten, über die Zweige schließlich zum Stamm abtransportiert und dort den Winter über gespeichert.
Damit die für den Baum äußerst wichtige Recyclingaktion fehlerlos abläuft, zerlegt er auch den grünen Stoff Chlorophyll, mit dem die Blätter aus dem Sonnenlicht Energie gewinnen. Während das Grün auf diese Weise allmählich aus den Blättern schwindet, kommen andere Farbstoffe zum Vorschein, die zuvor überdeckt waren – vor allem gelbliche Karotinoide; die hält der Baum in seinen Blättern vor, weil sie aggressive Moleküle unschädlich machen, die bei der Photosynthese entstehen. Und so entfalten die Laubträger nach und nach ihren herbstlichen Farbzauber. Die rundlichen Blätter der Birke etwa flammen in Gelb-Orange auf.
Manche Bäume stellen sogar gänzlich neue Farbstoffe her, die dem herbstlichen Laub noch weitere Nuancen geben: Einige Eichen- und Ahornarten bilden eigens bestimmte chemische Verbindungen ("Anthocyane"), die die Blätter rot färben. Welche Funktion diese scheinbar unnötige Produktion von Stoffen hat, die mit den Blättern ja bald abgeworfen werden, ist noch nicht vollends geklärt.
Blattläuse meiden rote Blätter
Vermutlich senden die Bäume so eine warnende Botschaft an Insekten, die zum Herbst Eiablageplätze im Geäst suchen. Versuche haben ergeben, dass sich beispielsweise Blattläuse bevorzugt auf grünen oder gelben Flächen niederlassen, rote hingegen meiden.
Möglicherweise werden sie durch den roten Farbton abgeschreckt, weil er in der Natur oft auf pflanzliche Giftstoffe hinweist — und der gleiche Effekt wirkt dann auch bei Blättern, die gar keine toxischen Substanzen enthalten.

Vielleicht dienen die Anthocyane aber auch einem anderen Zweck: Nach einer weiteren Hypothese sorgen sie während der sensiblen Phase des Nährstoffrecyclings und des Chlorophyll-Abbaus für zusätzlichen Lichtschutz. Dies könnte auch erklären, weshalb sich überwiegend jene Blätter tiefrot färben, auf die besonders viel Sonnenlicht trifft, während Blattwerk im Schatten eher gelbliche Töne zeigt.
Nach dem Abwurf verfärbt sich das Laub erneut, wird bräunlich, verfault. Denn der Waldboden ist voller Organismen, die sich nun über das tote, pflanzliche Material hermachen. Unzählige Bakterien und Pilze etwa, die sich von den herabgefallenen Blättern ernähren.
Mit den Blättern werden Schmutz- und Giftpartikel entsorgt
Für die Bäume hat das herbstliche Farbspektakel noch einen weiteren Nutzen: Mit dem Abwerfen der Blätter entsorgen sie zahllose Schmutz- und Giftpartikel, die im Laufe der Saison aus der Umwelt oder als Abbauprodukte aus dem Stoffwechsel ins Innere der grünen Organe gelangt sind und den Baum auf Dauer schädigen könnten.
Ob Ahorn-, Buchen- oder Lindenblatt: Die im Sommer grünen Organe sind auch eine Art chemische Deponie, die es den tonnenschweren Waldbewohnern ermöglicht, ihren Müll loszuwerden – also gleichsam zur Toilette zu gehen.
Die rauschenden Farben des Herbstes kündigen zwar den Tod Abertausender Blätter an. Doch gerade sie sind ebenso ein Zeichen dafür, dass die Bäume bei bester Gesundheit weiterleben können.