GEO: Haben Sie schon einmal Auswanderung erwogen?
Luis Mendieta: Nein, niemals. Kolumbien ist mein Land, es ist wunderschön. Mein Platz ist hier – auch deshalb, weil ich dazu beitragen möchte, dass endlich Frieden einzieht.
Was war Ihr bestes Lebensjahr?
Ich hatte viele beste Jahre! Vor der Entführung war ich beruflich erfolgreich, ich bin Vater geworden. Während der Gefangenschaft hatte ich viel Zeit, das alles wertzuschätzen.
Was haben Sie zuletzt geschenkt bekommen?
Ein Bildhauer hat eine Skulptur von mir angefertigt. Sie zeigt mich als Gefangenen: ausgemergelt und in Ketten. Am schlimmsten war die Kette um den Hals, sie war so schwer, dass mein halber Körper wie gelähmt war. Die Skulptur steht bei mir zu Hause.
Was war Ihre größte Enttäuschung?
Die Entführung. Jahrelang in einem Käfig zu leben. Ich habe Bilder aus den KZ der Nazis gesehen. So habe ich mich gefühlt: Leben hinter Stacheldraht, dazu eine absolut unmenschliche Behandlung.
Wie viel Geld möchten Sie besitzen?
Nach fast zwölf Jahren ohne einen Cent, einen Schein, hat Geld seinen Wert für mich verloren. Wenn die grundlegenden Bedürfnisse gestillt sind, reicht mir das. Am wertvollsten ist für mich die Zeit, die ich mit meiner Familie verbringe.
Wenn Sie die Macht hätten: Was würden Sie allen anderen Menschen befehlen?
Ich würde alles dafür tun, dass ein Zusammenleben aller in Frieden und Harmonie möglich wird. Bildungsmaßnahmen gehören dazu. Und Großzügigkeit gegenüber denen, die wenig haben.
Was fehlt Ihnen zum Glück?
Ich bin Gott und dem Universum dankbar dafür, frei und gesund zu sein. Saubere Kleidung zu tragen, in einem guten Bett zu schlafen, zu duschen, andere Menschen zu treffen, nicht ständig in den Lauf einer Waffe schauen zu müssen. Ich möchte reisen, innerhalb Kolumbiens, in der Welt.
Wovon haben Sie sich befreit?
Ich strebe nicht mehr nach Einfluss oder Materiellem. Ich lebe von Tag zu Tag. Was war, ist Vergangenheit. Wir wissen nicht, wie lange wir existieren. Was zählt, ist der Moment.
Haben Sie Angst vor dem Tod? Was kommt danach?
Ich habe die Kälte des Todes schon so oft gespürt. Als ich entführt wurde, inmitten von Granaten und Bomben. Als die Guerilleros uns verschleppten, bedrohten. Als das Militär uns befreite und das Camp aus der Luft bombardierte. Als ich in den Dschungel floh, wo die Giftschlangen waren. Wie soll ich da noch Angst haben? Nach dem Tod gibt es etwas, daran glaube ich fest.
Wann haben Sie das letzte Mal herzhaft gelacht?
Heute morgen. Ein ehemaliger Mitentführter macht gerade bei einer dieser Tanz-Reality-Shows mit. Ich wurde in die Sendung eingeladen, um über unsere gemeinsame Gefangenschaft zu sprechen. Doch dann mussten wir zusammen tanzen, vor laufenden Kameras. Wir haben uns kaputtgelacht.