GEO: Herr Bandelow, warum empfinden wir Menschen überhaupt Glücksgefühle?
Borwin Bandelow: Damit der Mensch nicht ausstirbt. Denken Sie mal an guten Sex und gutes Essen.
Stimmt, das macht beides ziemlich glücklich.
Genau. Und das lässt sich mit der Evolution erklären. Weil Sex schön ist und Spaß macht, haben wir ihn ja überhaupt – und pflanzen uns dadurch fort. Auch Nahrung ist wichtig, um zu überleben. Außerdem hat die Natur uns mit einem Trieb nach Neugierde ausgestattet. Deswegen macht es uns so viel Spaß, zu reisen und Orte zu entdecken, an denen wir noch nie waren. Und etwa im Urlaub nach Grönland zu fahren.
Was hat das mit der Evolution zu tun?
Denken Sie mal an Tiere, die in Afrika leben. Wenn man dort auf Safari ist, sieht man ständig Tiere, die neugierig das Terrain erkunden, und schauen, was sich hinter einem Stein verbirgt – um Nahrung zu finden. Für Lebewesen hat es einen Überlebensvorteil, wenn sie neugierig sind. Früher haben die Menschen, die etwas Neues probiert haben, eher überlebt. Wenn es in einem Lebensraum nicht genug Nahrung gab, mussten sie weiterziehen. In unbekannte, potenziell gefährliche Gegenden.
Apropos gefährlich: Manche Menschen, sogenannte Sensation-Seeker, sind nicht nur auf der Suche nach etwas Neuem, sondern brauchen einen gewissen Kick, um glücklich zu sein. Zum Beispiel beim Bungee-Jumpen, Paragliden oder Fallschirmspringen. Wie kommt das?
Wenn man in Gefahr ist, dann schüttet das Angstsystem im Körper nicht nur Stresshormone, sondern vorsorglich Endorphine aus. Der evolutionäre Zweck dahinter ist: Wenn ein Tier gegen ein anderes wildes Tier kämpft, dann blutet es vermutlich. Durch die blutenden Wunden werden Endorphine freigesetzt. Damit während des Kampfes die Schmerzen nicht so stark empfunden werden. Und damit eine Euphorie ausgelöst wird, und das Tier weiterkämpft, um zu gewinnen. Und zu überleben. Um aus evolutionärer Sicht seine Art oder seinen Stamm zu erhalten.
Das bedeutet: Immer, wenn ich Angst kriege, bekomme ich als gratis Beigabe Endorphine, besser bekannt als Glückshormone.
Borwin Bandelow über das Glück in Alltag: "Man kann seinen Endorphinpegel immer wieder nach oben schrauben"
Für ein Glücksgefühl aus dem Flugzeug zu springen, möchte sicherlich nicht jeder. Wie kann man solche oder ähnliche Glücksgefühle noch erfahren?
Sie können einfach in die Achterbahn steigen oder Skifahren. Der Effekt ist derselbe. Das Angstsystem sagt einem bei einer schwarzen Piste: Das ist steil, du könntest dich verletzen. Obwohl das Vernunftgehirn weiß, dass man gut skifahren und den Berg herunterfahren kann, werden auch hier Endorphine ausgeschüttet.
Das ist ja interessant!
Auch beim Achterbahnfahren wird dem Angstsystem suggeriert, dass man in der nächsten Kurve rausfliegen könnte. Funktioniert die Sicherung? Ist das alles ausreichend TÜV-geprüft? Deswegen sind die Achterbahnen so gebaut, dass sie diese Angst erzeugen, sonst würden sie kein Geld verdienen. Für die Endorphine, die das Glücksgefühl erzeugen, zahlt man dann eben die 8 Euro.
Man soll den Hedonismus schon ausleben
So ein richtig schönes Glücksgefühl verfliegt leider immer ziemlich schnell. Kaum merkt man, dass man gerade wahnsinnig glücklich ist, ist das Gefühl schon wieder weg. Warum sind Glücksgefühle so flüchtig?
Eine Endorphinausschüttung ist leider nur kurz, im Schnitt nur 7,2 Sekunden lang. Das bedeutet, dass man nie dauerhaft glücklich sein kann. Man kann allenfalls durch häufige Wiederholungen seinen Endorphinpegel immer wieder nach oben schrauben, um sich diese Gefühle also so oft wie möglich gönnen – wie beim Skifahren. Dabei werden bei jedem Schwung Endorphine freigesetzt.
Sie sind also für Hedonismus?
Ja. Das Leben ohne Genüsse dauert auch nicht länger – es kommt einem nur länger vor. Es bringt doch nichts, wenn man sich sämtliche Genüsse versagt, wie es manche Philosophen empfehlen. Weil sie finden, dass man dem Glück nicht hinterherjagen soll. Die leben dann ein lustloses und anhedonistisches Leben. Ich würde sagen, man soll den Hedonismus schon ausleben. Und überall nach kleinen, persönlichen Glücksgefühlen suchen. Allerdings sollte man dabei auf sich und auf andere achten. Also – beim Glück immer Paragraph 1 der Straßenverkehrsordnung beachten.
Warum es glücklicher macht, an einem Auto herumzuschrauben als sich ein neues zu kaufen, und weshalb wir schlechte Zeiten brauchen, um das Glück zu spüren, lesen Sie demnächst in einem Artikel über Borwin Bandelow auf GEOPlus.