Ein Bild und seine Geschichte: Das Schwein, das US-Präsident werden sollte

Ein Schwein vor dem Mikrofon
Tierischer Auftritt: Das Schwein, das hier vor das Mikrofon gehalten wurde, war schon das zweite Tier, das die "Youth International Party" vorstellte. Das erste hatte die Polizei beschlagnahmt
© Bettmann Collection / Getty Images
Im August 1968 trafen sich die Delegierten der Demokraten in Chicago, um ihren Kandidaten für die kommenden Präsidentschaftswahlen zu küren. Eine Gruppe junger Aktivisten präsentierte eine tierische Alternative: Pigasus den Unsterblichen

Der Kandidat fühlt sich sichtlich unwohl. Kein Wunder: Vor ein paar Tagen hat "Pigasus der Unsterbliche" noch ein beschauliches Leben auf einer Farm in Illinois geführt, jetzt blinzelt er im Blitzlichtgewitter. Die Aktivisten der "Youth International Party", die sogenannten "Yippies", haben das 66 Kilogramm schwere Hausschwein für eine Aufgabe ausgesucht, die wohl auch viele Menschen nur ungern auf sich nehmen würden: eine Bewerbung um die US-Präsidentschaft.

August 1968. Die Weltöffentlichkeit blickt nach Chicago. Hier wollen die Demokraten auf einem Parteitag ihren Spitzenkandidaten für die kommenden Präsidentschaftswahlen küren. Die Stimmung ist äußerst angespannt, denn der Vietnamkrieg hat die Amerikaner gespalten. Insbesondere die Jugend sehnt sich nach Frieden, und viele Linke hadern mit der Demokratischen Partei, die nicht wirklich willens scheint, dem Krieg in Südostasien ein Ende zu setzen. 

Deshalb planen Aktivisten aus den Kreisen der Gegenkultur ein satirisches Spektakel in Chicago. Diese Yippies wollen dem "Parteitag des Todes", wie sie ihn nennen, ein "Festival des Lebens" entgegensetzen. Und wenn das politische System nur "Schweine" ins Weiße Haus wählt, dann bringen sie eben ihr eigenes mit. Pigasus hat die Gruppe sorgfältig ausgewählt. Es musste "das größte, stinkendste und abstoßendste" Schwein sein, das sie finden konnten, berichtet eine Aktivistin später. 

Friedlicher Protest trifft auf Polizeigewalt

Doch schon beim ersten Auftritt des Kandidaten in Chicago, am 23. August 1968, schreitet die Polizei ein und konfisziert den vierbeinigen Nachwuchspolitiker. Auch mehrere Mitglieder der Yippies werden festgenommen, kommen aber wieder frei. Für die Aktivisten kein Grund aufzugeben: Sie besorgen kurzerhand Ersatz und präsentieren dieses Schwein fünf Tage später der Öffentlichkeit (siehe Foto). 

Aus heutiger Sicht ist die Kandidatur von Pigasus eine lustige Fußnote in der US-Geschichte – der Parteitag von Chicago aber zählt zu den dunkelsten Stunden der jüngeren Vergangenheit. Nur kurz nach der Präsentation des Schweins knüppelt die Polizei die Anti-Kriegs-Proteste brutal nieder. Es sind diese Bilder, die sich in das kollektive Gedächtnis der USA eingebrannt haben und nicht die Satire-Aktion der Yippies.

Einige der Aktivisten müssen sich später wegen der Unruhen vor Gericht verantworten, die Urteile werden aber von einem Berufungsgericht aufgehoben. Und Pigasus? Schnell gibt es Gerüchte, die Polizei hätte ihn und seinen Ersatz geschlachtet. Wahrscheinlich aber kehrt er dorthin zurück, wo er hergekommen ist: eine Farm in Illinois.