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Flottenpolitik Mit Volldampf ins Verderben: Kaiser Wilhelm II. und sein Drang zum Meer

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Vor 125 Jahren, am 11. August 1899, eröffnet Kaiser Wilhelm II. den Dortmund-Ems-Kanal; mächtige Frachtschiffe aus den Industriestädten im Westen können nun direkt zur Nordsee fahren. Deutschlands Drang zum Meer kündet von wirtschaftlichem Wagemut und politischem Wahn. Und er endet im Desaster
Der Schnelldampfer "Kaiser Wilhelm der Große" in voller Fahrt auf offener See
Bei seinem Stapellauf 1897 ist der Dampfer "Kaiser Wilhelm der Große", benannt nach Wilhelm I., das weltweit größte und schnellste Schiff seiner Art. Der Schnelldampfer mit den vier markanten Schornsteinen bedient die Linie Bremerhaven–New York. Mit ihm beginnt die Ära der Superliner des Atlantiks. Das Rekordschiff gehört dem Norddeutschen Lloyd, kurz NDL, einer Reederei aus Bremen (Bild von 1907). 1914 wird es nach einem Gefecht mit einem britischen Kreuzer von der eigenen Besatzung versenkt 
© ullstein / picture alliance

Dies ist die Geschichte zweier atemraubender Karrieren und zweier grandioser Flotten. Eine Geschichte von technischen Höchstleistungen und kaufmännischem Wagemut, von militärischer Meisterschaft und byzantinischen Intrigen, von Allmacht und Ohnmacht, von einem Kaiser und seinem Wahntraum. Eine Geschichte vom rasanten Aufstieg und vollkommenen Scheitern einer Großmacht.

Es ist die Geschichte vom Kaiser des Deutschen Reiches, seinen Schiffen und den beiden Männern, die diese Schiffe auf die Ozeane gejagt haben.

Deutsche Schiffe auf den Ozeanen? Das war seit dem Ende der Hanse ein seltener Anblick. Noch 1881 sind die Reedereien in Hamburg oder Bremen international zweitklassig. Und das Rückgrat der Kriegsflotte der stärksten Landmacht des Kontinents besteht aus wenigen alten Panzerkreuzern, die nur im Sommer zu Manövern ausfahren, während im Winter die Besatzungen in Kasernen einrücken und die Schiffe sicher vor Anker liegen.

Im ganzen Reich, immerhin eine der führenden Industrienationen der Welt, gibt es keine Werft, die große Schiffe bauen oder auch nur reparieren kann. Selbst die Kriegsschiffe Seiner Majestät laufen, von den Offizieren der übermächtigen Royal Navy milde belächelt, das englische Portsmouth an, wenn mal wieder ein Kessel zu flicken ist.

Nur 20 Jahre später ist Deutschland Sitz der größten sowie der drittgrößten Reederei der Welt. Seine Riesenwerften bauen die größten und schnellsten Dampfer auf den Meeren. Und seine Kriegsflotte wird so mächtig, dass sie selbst die Royal Navy herausfordert.

Wie konnte das geschehen? Wie konnte ein ganzes Land binnen nur einer halben Generation in See stechen? Wie wird, historisch ziemlich einmalig, über Nacht aus einer Land- eine Seemacht?

Erschienen in GEO EPOCHE Nr. 12 "Deutschland um 1900" (2004)“