GEOEPOCHE: Herr Dr. Molzberger, der WM-Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, das "Wunder von Bern" am 4. Juli 1954, wird oft als "eigentliches Gründungsdatum" der Bundesrepublik bezeichnet. Warum?
Dr. Angar Molzberger: Dass der WM-Sieg 1954 der "eigentliche Gründungsakt" der Bundesrepublik gewesen sei, hört man immer wieder. Dabei geht die Bezeichnung auf eine missverständliche Verkürzung zurück. Sie wird dem Historiker Joachim Fest zugeschrieben, der wörtlich einmal von "drei Gründungsvätern" der Republik gesprochen hatte: Für den politischen Bereich nannte er Konrad Adenauer, für den wirtschaftlichen Ludwig Erhard und für den mentalen Bereich den 1954er-Mannschaftskapitän Fritz Walter. Daraus ist die verkürzte Beschreibung vom WM-Sieg als "eigentlichem Gründungsakt" entstanden und hat sich verselbstständigt. Eine solch staatstragende Wahrnehmung des Erfolgs hatten die Menschen 1954 aber nicht.
Was hat der WM-Titel dann in der Gesellschaft bewegt?