Wer war die rätselhafte Frau aus Grab Nr. 63, die vor mehr als 1000 Jahren starb? Bei der Untersuchung eines mittelalterlichen Friedhofs im Osten Ungarns ist ein Archäologenteam auf ein ungewöhnliches Grab gestoßen. Zwar wurde es bereits Mitte der 1980er-Jahre entdeckt, doch erst jetzt erlauben neue Untersuchungsmethoden überraschende Erkenntnisse über das Leben der Bestatteten: Die Verstorbene ist die erste bekannte Frau, die im 10. Jahrhundert n. Chr. im Karpatenbecken mit einer Waffe bestattet wurde.
Um 830 n. Chr. waren die Magyaren (Ungarn) aus den eurasischen Steppen in die Donauregion eingewandert, erreichten später das Karapatenbecken im südlichen Ostmitteleuropa und gründeten Ende des 10. Jahrhunderts das Königreich Ungarn. Berittene ungarische Bogenschützen zählten damals zu den gefürchteten Kriegern. Oft wurden die Männer mitsamt ihren Waffen begraben, mit Bögen, Köchern und Pfeilen, Äxten, Speeren, Säbeln und Schwertern, manchmal auch mit ihrer Reitausrüstung. So auch auf dem Gräberfeld von Sárrétudvari-Hízóföld, dem größten Friedhof des 10. Jahrhunderts in Ungarn.
Pfeil und Bogen als letzte Gabe
Dort, in Grab Nr. 63, identifizierte ein Forscherteam nun unter Leitung von Dr. Balázs Tihanyi von der Universität Szeged eine Frau unbekannten Alters, die mit ungewöhnlichen Grabbeigaben bestattet wurde: Neben einem silbernen Haarring, Knöpfen und einer Kette aus Stein- und Glasperlen – nicht unüblich für ein Frauengrab – fanden sich überraschenderweise auch Reste eines Bogens mit Hornplatte, eine Pfeilspitze und Teile eines Köchers. Die sterblichen Überreste ruhten teils auf der rechten Seite, die Knie waren leicht gebeugt. Der Bogen lag nahe der Hüfte und der linken Hand, fast als hätte ihn die Verstorbene noch im Tod umklammert.
Zog die Frau aus dem Karpatenbecken also tatsächlich als Kriegerin mit Pfeil und Bogen in die Schlacht? Ihre Skelettüberreste deuten zumindest darauf hin, dass die Verstorbene körperlich sehr aktiv war. Mehrere schwere, nicht vollständig verheilte Brüche an den oberen Gliedmaßen stammten wahrscheinlich von einem Sturz auf den ausgestreckten Arm oder die Schulter.
Ob sie sich die Verletzungen aber im Kampf oder im Alltag zuzog, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren. Auch Vergleiche mit anderen weiblichen Waffenträgerinnen seien nicht möglich, so die Forscher: Die Frau in Grab Nr. 63 ist in Ungarn bislang einzigartig.