Spektakuläre Bauprojekte in Großstädten wie Hamburg, Stuttgart oder Berlin sorgen deutschlandweit und manchmal sogar über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen. Doch mindestens genauso spannend ist das Ungebaute in einer Stadt: Architektonische Konzepte, die so hätten kommen können, aus unterschiedlichen Gründen jedoch nie umgesetzt wurden.
Das mehr als 600 Seiten starke Buch "Das ungebaute Hamburg" liefert eine Übersicht solcher Projekte in der norddeutschen Hansestadt, die seit 1960 in Planung waren. Manche der vorgestellten Ideen mögen ein irritiertes Stirnrunzeln verursachen, bei anderen Vorhaben kann man es einfach schade finden, dass diese nie realisiert wurden. Und bei wieder anderen urbanen Fantasien, die dann irgendwann begraben wurden, denkt man nur: zum Glück!
Der neue Band der Hamburgischen Architektenkammer, erschienen im Dölling-und-Galitz-Verlag, thematisiert vertane Chancen und umstrittene Vorhaben der vergangenen Jahrzehnte und stellt 32 Projekte näher vor, stellvertretend für den jeweils herrschenden Geist der Zeit. Wir gewähren einen Einblick in drei dieser Bauvorhaben und reisen durch vergangene Jahre der Hamburger Stadtentwicklung.
Eine Seilbahn über die Elbe
Zugegeben: Von Bergen kann man in Hamburg und dem städtischen Umland wohl kaum sprechen. Trotzdem gab es gleich mehrmals Planungen für eine Seilbahn in der Stadt: Denn im 21. Jahrhundert ereignete sich etwas, das Autor Dirk Meyhöer in seinem Beitrag "als Seilbahnhype im Flachland" bezeichnet. Eine mächtige alpine Seilbahn- und Fahrzeugindustrie suchte in vielen deutschen Städten nach Referenzstrecken und machte entsprechende Vorschläge.
So brachte das Projektentwicklungsunternehmen Drees & Sommer Ende 2012 die Idee auf, in Hamburg eine "Hafencity-Seilbahn" zu errichten. Die Strecke sollte von der Hafencity-Universität über den Segelschiffhafen und das südliche Elbufer bis zu den dortigen Musical-Theatern führen. Aus Gründen der Hafensicherheit (bei einem Startpunkt in der Hafencity hätte es wegen der geringen Höhe über dem Fluss zu Störfällen kommen können) gab die Stadt die Hafencity-Strecke aber schon im Juni 2013 auf.
Eine zweite Idee für eine "Hamburger Seilbahn" vom Stadtteil St. Pauli über die Elbe bis zu den beiden Musical-Spielstätten auf Steinwerder und schließlich weiter bis nach Wilhelmsburg blieb zunächst genehmigungsfähig. Der Bau hätte mit einer klugen Trassenplanung eine praktische Anbindung der südlichen Elbseite an die Stadt ermöglicht und wäre eine interessante Ergänzung für den öffentlichen Nahverkehr gewesen. Wenngleich Prominente wie der deutsche Kaffeehausunternehmer Albert Darboven sich öffentich für den Bau aussprachen, ersteilten im August 2014 insgesamt 31.769 Hamburgerinnen und Hamburger im Rahmen eines Bürgerentscheids im Bezirk Mitte bei nur 18.312 Ja-Stimmen der Hamburger Seilbahn eine klare Absage.
Wir wollen uns ja auch als Weltstadt fühlen, und dazu gehört diese Seilbahn
(Albert Darboven, 2024)
Dass die Pendler im Hamburger Verkehrsverbund von dieser Bahn hätten profitieren können, wurde offensichtlich nicht angenommen, denn die notwendige Verlängerung von den Musical-Theatern nach Süden hätte eines zweiten Bauabschnitts bedurft. Möglicherweise befürchteten die Hamburger stattdessen eine weitere Ausbreitung des Stadttourismus ähnlich wie in Venedig oder Amsterdam. Denn die Seilbahn hätte die Landungsbrücken und auch die Hafencity als Zuschauertribüne beim Hafengeburtstag oder die maritimen "Cruise Days" durch eine "Möwenperspektive" ergänzt.
Im Jahr 2018 tauchte die Idee einer städtischen Seilbahn dann noch einmal auf, für den Stadtteil Harburg. Dort sollten Standorte der Technischen Universität Hamburg miteinander verbunden werden. Doch auch in diesem Fall reichten Schwung und Überzeugung der Technikerinnen und Ingenieure nicht zur Verwirklichung aus.
Gleisüberdachung am Hauptbahnhof
Nicht nur zahlreiche Durchgangsstraßen durchschneiden die Hamburger Innenstadt, auch die Bahn schafft Barrieren. Die Gleise des Hauptbahnhofs trennen den Stadtteil St. Georg von der Altstadt und damit auch das Museum für Kunst und Gewerbe vom Einkaufsviertel an der Mönckebergstraße. Was also tun gegen störende Verkehreswege? Die Idee: Deckel drauf!
Im Jahr 2018 wurden zum ersten Mal Überlegungen für eine Überdachung der weiten Gleisanlagen laut. Der Plan: Eine 120 mal 140 Meter große Hallenkonstruktion sollte die Gleise des Hauptbahnhofs überspannen. Darauf ein Park, strukturiert durch große begrünte Wellen. Durch eine Senke in der Mitte sollte ein kleiner Bach fließen, eine Bühne war vorgesehen, und an den Seiten des Parks ermöglichten zusätzliche Eingänge den direkten Zugang zum Hauptbahnhof. Den Entwurf lieferte das Architekturbüro Reichwald Schultz & Partner. Doch obwohl Teile der Hamburger Politik positiv auf den Vorschlag reagierten, aus der Planung entwickelte sich bislang kein konkretes Bauvorhaben.
Das Dach über den Gleisanlagen ist jedoch nach wie vor ein Thema in der städtischen Politik, mittlerweile auch bei der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen. Sie möchte die Überdeckelung des südlichen Gleisfelds am Hauptbahnhof prüfen lassen. Städtebaulich wär das zweifelsohne ein Gewinn. Man muss allerdings fragen, wie der Bahnverkehr während der Bauzeit aufrechterhalten werden könnte. Immerhin gehört der Hamburger Hauptbahnhof zu den meistfrequentierten Bahnhöfen Europas. Nur der Gare de Lyon in Paris zählt noch mehr Reisende.
Ein Glaspalast für den Domplatz
Der Domplatz ist in Hamburg ein symbolischer Ort. Hier wird die Keimzelle der Stadt vermutet. Der Standort der ersten Befestigung, der Hammaburg – einst ein Gebilde aus Erde und Holz –, macht es der Archäologie jedoch schwer, die These dingfest zu machen. Denn die damaligen Baumaterialien gelten zwar nach heutigen Begriffen als nachhaltig, besitzen aber keinen Ewigkeitswert.
Präsenter als die frühmittelalterliche Gründungsgeschichte ist die Geschichte des Hamburger Doms. Der Mariendom wurde im 13. und 14. Jahrhundert als Bischofskirche des Erzbistums Bremen erbaut. Doch bereits nach dem Westfälischen Frieden 1648 wurde er für die Kirche funktionslos und 1806 schließlich komplett abgetragen. Für seine Backsteine gab es in Hamburg gute Verwendung. Und der Jahrmarkt, der in dem alten Gebäude um die Weihnachtszeit abgehalten wurde und seitdem Dom genannt wird, fand einen anderen Veranstaltungsort.
Der Domplatz wurde 1840 zum Standort der wichtigsten Gelehrtenschule der Stadt. Als das Johanneum 1914 umzog, konnte die Staatsbibliothek den Altbau komplett übernehmen, der aber 1943 den Bomben des Zweiten Weltkrieges zum Opfer fiel. Nach dem Krieg war der Domplatz ein Trümmerfeld unter vielen in Hamburg. Es dauerte ein paar Jahre, bis er wieder frei lag.
Ein Teil des freien Feldes wurde direkt dem Autoverkehr geopfert. Damit war ein wesentlicher Teil der historisch bedeutsamen Fläche bereits überbaut. Um den Rest erhob sich ab 1956 eine kontroverse Debatte. Die Bürgerschaft hatte beschlossen, den verbliebenen geschichtsträchtigen Domplatz für eine Gedenkstätte unbebaut zu lassen. Der Senat hingegen rief Fachleute zu Bebauungsvorschlägen auf. Eine Einigung kam nicht zustande.
Und so wurden in den folgenden Jahrzenten immer wieder Überlegungen angestellt und Architekturwettbewerbe ausgerufen, zuletzt im Jahr 2004. Erneut ging es nun um die Erinnerung an die historische Bedeutung des Platzes. In ein mögliches neues Gebäude darauf sollten die Zentralbibliothek sowie die Landeszentrale für politische Bildung und ein Bürgerschaftsforum einziehen. Das Architekturbüro Auer Weber ging als Sieger aus dem damals ausgerufenen Wettbewerb hervor.
Der Vorschlag sah einen gläsernen Baukörper mit großzügigem Innenhof vor. Bei der Präsentation bemühte sich die Baubehörde, Enthusiasmus für die erstplatzierte Arbeit zu verbreiten. Doch die Öffentlichkeit zog nicht mit. Von einer neuen "Lackierhalle" in der Innenstadt war in den Medien zu lesen und von einer unerträglichen Banalität der Architektur. Weder für die Größe des Objektes noch für das Glas wollten sich die Hamburgerinnen und Hamburger erwärmen.
Sogar Altbundeskanzler Helmut Schmidt meldete sich in der Zeitung "Die Zeit" zu Wort und machte deutlich, dass er an dem Entwurf keinen Gefallen fand. Er hob vor allem auf das Material Glas ab, das er offenbar durch den traditionsreichen Backstein ersetzt wissen wollte. Schmidts Worte gaben dem Projekt den Todesstoß, so schreibt es Autor Olaf Bartels in seinem Beitrag.
Das ungebaute Hamburg. Visionen einer anderen Stadt
Weitere spektakuläre Architekturvorschläge aus der Stadtgeschichte Hamburgs – darunter rekordverdächtige Hochhäuser in der Hafencity, ein Parkhaus unter der Binnenalster und sogar der Totalabriss der Stadtteile St. Pauli und Ottensen – versammelt der Band "Das ungebaute Hamburg. Visionen einer anderen Stadt. Entwürfe von 1960 bis heute" aus der Schriftenreihe des Architekturarchivs der Hamburgischen Architektenkammer.
Herausgeber Ullrich Schwarz und die weiteren 15 Autorinnen und Autoren stimmen in ihren kurzweiligen, reich bebilderten Texten auf den Geist der jeweiligen Planungszeit ein, betrachten die Dinge aber auch aus heutiger Sicht – nicht wenige Ideen haben ihre Aktualität bewahrt, bei anderen gilt: Nicht zu bauen kann eine Tugend sein. Insgesamt ist das Buch ein erfrischender und spannender Blick auf die Entwicklung der Stadt Hamburg, wie sie hätte sein können.