Seit Jahrzehnten gehen Planetenforscher davon aus, dass sich unter der Oberfläche des Saturnmonds Titan ein großer Ozean aus Wasser verbirgt. Doch damit scheinen sie sich geirrt zu haben. Ein US-Forschungsteam hat alte Daten der Raumsonde Cassini neu ausgewertet. Das zeigte überraschend, dass die Messungen doch nicht auf einen Ozean hindeuten. Stattdessen scheint es unter der Oberfläche ein viskoelastisches Gemisch aus Wasser und Eis zu geben – mit anderen Worten: Matsch. Ein solches Gemisch könne sogar lebensfreundlicher sein als ein Ozean, betonen die Wissenschaftler im Fachblatt "Nature".
Titan ist der größte Mond des Planeten Saturn. Mit einem Durchmesser von 5.150 Kilometern ist er größer als der Planet Merkur. Der Mond ist in eine dichte Atmosphäre aus Stickstoff gehüllt, aus der bei einer Temperatur von minus 180 Grad Celsius gelegentlich Regen aus flüssigem Methan fällt. Dieser Regen speist Flüsse, die in den Polregionen in großen Seen münden. Titan ist damit neben der Erde der einzige Himmelskörper im Sonnensystem mit einem Flüssigkeitskreislauf auf der Oberfläche.
Die Oberfläche von Titan besteht nicht aus Gestein, sondern aus Wassereis, das bei den tiefen Temperatur so hart ist wie Gestein. Doch so kalt wie an der Oberfläche muss es im Inneren von Titan nicht sein. Die Schwerkraft des Planeten Saturn führt zu starken Gezeiten, die den Mond fortwährend verformen. Und diese Verformung setzt durch Reibung Wärme frei, die unterhalb von etwa hundert Kilometern das Eis schmelzen lassen könnte. Gibt es dort also einen Ozean aus Wasser, in dem Leben entstanden sein könnte?
"Viskoelastisches" Material im Inneren?
Die Raumsonde Cassini, die von 2004 bis 2017 den Saturn umkreiste und auch seine Monde erforschte, lieferte scheinbar überzeugende Beweise für die Existenz eines Ozeans. Insgesamt näherte sich die Sonde auf ihrer Umlaufbahn 124 Mal Titan. Zehn dieser Begegnungen dienten dabei einem speziellen Zweck: der genauen Vermessung der Schwerkraft des Mondes.
Wenn die Gezeitenwirkung Saturns den Mond deformiert, ändert sich auch sein Schwerefeld – mit Folgen für die Bahnbewegung von Cassini. So gelang es den Forschern, die Verformung Titans zu messen. Demnach verformt sich der Mond deutlich stärker, als es für einen festen Himmelskörper zu erwarten ist. Die Schlussfolgerung schien also zu sein, dass es zwischen der äußeren Kruste und dem Gesteinskern eine Zone aus flüssigem Wasser gibt, einen verborgenen Ozean.
Wie das Team um Flavio Petricca vom California Institute of Technology in Pasadena erläutert, war diese Folgerung voreilig. Denn auch ein "viskoelastisches" Material könne einen ähnlichen Effekt hervorrufen. "Viskoelastisch" nennen Forscher ein Material, das teils zähflüssig, teils biegsam ist. Unter hohem Druck kann sich, wie Laborexperimente zeigen, ein Gemisch aus Wasser und Eis so verhalten.
Umgebung wie im polaren Eis der Erde?
Wie aber lässt sich von außen ein flüssiger Ozean von Eismatsch unterscheiden? "Eine viskoelastische Deformation … führt zu einer zeitlichen Verzögerung zwischen der Gezeitenkraft und ihrer Wirkung", erläutern die Forscher. Anders ausgedrückt: Wenn das Innere sich nur zäh bewegt und nicht fließt, verformt sich der Mond langsamer. Auf der Suche nach einer solchen Verzögerung hat das Team die alten Cassini-Daten noch einmal ausgewertet.
Und es wurde fündig: Die stärkste Verformung von Titan ist in den Messdaten erst jeweils 15 Stunden nach der stärksten Gezeitenkraft sichtbar. Niemand habe einen so deutlichen Effekt erwartet, sagt Petricca: "Das beweist, dass das Innere von Titan anders ist, als aufgrund der früheren Analysen vermutet." Das in der Studie entwickelte Modell besteht hauptsächlich aus zähem Matsch, gemischt mit einem kleinen Anteil an flüssigen Wasser.
Bedeutet das, dass auf Titan kein Leben entstanden sein könnte? Ganz im Gegenteil, heißt es. Denn Leben benötigt nicht nur Wasser, sondern auch Nährstoffe. In einem globalen Ozean wären diese Nährstoffe dünn verteilt. In dem zähen Matsch dagegen könnten sich mit Wasser gefüllte Taschen mit einer hohen Konzentration an Nährstoffen bilden. "Eine solche Umgebung ähnelt dem Ökosystem im polaren Eis der Erde", erklären die Forscher – und das sei eines der größten Ökosysteme auf unserem Planeten.
In drei Jahren soll sich die Nasa-Mission "Dragonfly" auf den Weg zu Titan machen und ihn ab 2034 erforschen. Petricca und Kollegen hoffen, dass die Sonde endgültig Aufschluss über das Innere von Titan liefert – und vielleicht sogar eine Antwort darauf, ob es dort Leben gibt.