Herr Professor Znoj, wie lange trauern Menschen Ihrer Erfahrung nach heutzutage um einen Angehörigen?
Prof. Hansjörg Znoj: Das kommt natürlich auf die individuelle Beziehung zum Verstorbenen an. Die Trauer um einen geliebten Angehörigen dauert in der Regel mehrere Jahre. Von der Gesellschaft werden den Menschen dagegen nur drei bis sechs Monate zugestanden. Das ist recht kurz. Meine Elterngeneration trug noch ein Jahr Trauer. Beim Mann war diese Trauer damals durch einen schwarzen Knopf am Revers symbolisiert, bei einer Frau durch ein schwarzes Überjäckchen oder Ähnliches. Die Menschen haben es aber auch akzeptiert, dass jemand seine Trauer ein Leben lang mit sich herumträgt. Sigmund Freud hat gesagt: Trauerzustände sind keine Krankheit, von der man genesen kann. Heute ist man ungeduldiger: Psychotherapeuten diagnostizieren bei manchen Betroffenen mitunter schon nach zwei Monaten eine "anhaltende Trauer", die behandelt werden müsse.
Was ist eine "anhaltende Trauer"?
Bei zwischen fünf und zehn Prozent der Trauernden kommt es zu einer pathologischen Entwicklung, die oft mit Angstzuständen, Panikattacken und Depressionen verbunden ist. Es findet keine Anpassung an die neue Situation statt, das soziale Umfeld wird vernachlässigt, man kann den Beruf nicht mehr ausüben und vereinsamt. Häufig tritt so etwas bei Hinterbliebenen auf, die eine eher komplizierte Partnerschaft zum Toten hatten; in dem Fall kommen oft Schuldgefühle hoch. Man kann nicht loslassen, weil die Beziehung schon schwierig war.
Welche Anzeichen gibt es dafür, dass man therapeutische Hilfe braucht?