Wegweisende Studie Nachweis per Hirnscan: Achtsamkeitsübungen reduzieren effektiv Schmerzen

Eine Frau steht mit geschlossenen Augen vor einer Efeuhecke, die Hände auf die Brust gelegt
Schmerzen sind Warnsignale des Körpers. Wenn es gelingt, sie achtsam wahrzunehmen, ohne sie dabei negativ zu bewerten, lässt das Schmerzempfinden meist deutlich nach
© Natalia Deriabina / Westend61 / mauritius images
Achtsamkeitsmeditation soll helfen, Schmerzen weniger negativ zu bewerten und sie auf diese Weise zu lindern. Forschende konnten nun anhand von Hirnscans nachweisen, dass schon eine kurze Meditationsübung die Schmerzverarbeitung im Gehirn messbar beeinflusst – und das Leiden verringert

Achtsamkeitsmeditation ist eine alte Technik, bei der es darum geht, die eigenen Gedanken, Gefühle und Körpersignale unvoreingenommen zu betrachten und im gegenwärtigen Moment zu verweilen. Ihre positive Wirkung auf Körper und Geist ist durch zahlreiche Studien belegt. So kann sie helfen, Stress, Ängste, Bluthochdruck – und eben auch Schmerzen zu reduzieren.

Doch was genau die Linderung bewirkt, war bislang unklar. Eine gängige Theorie besagt, dass Achtsamkeitsmeditation den Placebo-Effekt auslöst. Eine wegweisende Studie im Fachmagazin Biological Psychiatry widerspricht dem nun: Die Wirkung von Achtsamkeitsübungen sei nicht allein mit dem Placebo-Effekt zu erklären, schreiben die Forschenden von der University of California San Diego, denn sie geht weit darüber hinaus. Zudem aktiviert sie andere Signalwege im Gehirn. Damit könnte sie für Schmerzgeplagte ein noch viel wirkmächtigeres Instrument sein als bislang gedacht.

Positive Erwartungen aktivieren nachweislich die Selbstheilungskräfte

Zum Verständnis: Der Placebo-Effekt tritt zum Beispiel ein, wenn Menschen nur zum Schein behandelt werden (etwa statt eines echten Medikaments eine Tablette ohne Wirkstoff erhalten) und es dennoch zu einer Verbesserung der Symptome kommt. Offenbar kann allein schon die Erwartung, dass eine Behandlung hilft, die Selbstheilungskräfte des Körpers aktivieren und die Wahrnehmung von Beschwerden positiv beeinflussen.

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Um zu prüfen, inwieweit dies auch bei der Achtsamkeitsmeditation der Fall ist, teilten die Forschenden 115 gesunde Probandinnen und Probanden zufällig in vier Gruppen ein. Diese erhielten jeweils unterschiedliche Interventionen: Eine Gruppe wurde zur Achtsamkeitsmeditation angeleitet, eine weitere sollte als eine Art "Scheinmeditation" besonders tiefes Ein- und Ausatmen praktizieren. Eine dritte Gruppe bekam eine vermeintliche "Schmerzcreme" verabreicht, die jedoch keinen Wirkstoff enthielt. Die Letzte Gruppe diente als Kontrolle und hörte sich ein Hörbuch an.

Für das Experiment wurde den Probanden zunächst ein schmerzhafter Hitzereiz an der Wade zugefügt. Anschließend wurde ihr Gehirn einmal vor und einmal nach der jeweiligen Intervention in einem funktionellen Magnetresonanztomographen gescannt. Mit diesem Gerät lässt sich sichtbar machen, welche Hirnregionen gerade aktiv und an der Schmerzverarbeitung beteiligt sind. Anschließend wurden die Bilder mit einer computergestützten Methode namens "Multivariante Mustererkennung" ausgewertet.

Meditation verändert die Schmerzverarbeitung im Gehirn

Das Ergebnis: Sowohl die Probanden, die die Creme erhalten hatten, als auch diejenigen, die lediglich eine tiefe Atmung praktizierten, berichteten über weniger Schmerzen als die Kontrollgruppe. Die Forschenden führen dies auf den Placebo-Effekt zurück. Überraschenderweise erfuhren jedoch diejenigen Frauen und Männer, die zur achtsamen Meditation angeleitet worden waren, eine deutlich größere Schmerzreduktion als die beiden Placebo-Gruppen. 

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Außerdem zeigte sich im Gehirnscan der Betroffenen, dass sich durch die Meditation die Synchronisation zwischen Bereichen, die an Introspektion, Selbstwahrnehmung und emotionaler Regulierung beteiligt sind, verringerte. Man nimmt an, dass aus dem Zusammenspiel dieser Regionen das neuronale Schmerzsignal (NPS) entsteht. Im Gegensatz dazu gab es weder bei der Kontrolle noch in der Placebogruppe eine signifikante Veränderung im NPS-System. Stattdessen waren beim Placeboeffekt andere Gehirnregionen aktiv.

Potenzial für die Schmerzmedizin: "Der Geist ist extrem mächtig"

Für Schmerzkranke ist das eine gute Nachricht. Geht es doch bei der Achtsamkeitsmeditation darum, Körpersignale wie Schmerzen von negativen emotionalen Bewertungen zu trennen. Das Experiment legt nahe, dass dies tatsächlich funktioniert und sich in einer veränderten Gehirnaktivität und Schmerzlinderung widerspiegelt. Die Forschenden hoffen, dass sich ihre Ergebnisse auch für chronisch Schmerzkranke bestätigen lassen und dazu beitragen, die Achtsamkeitsmeditation noch effektiver in die Behandlung einzubinden.

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"Der Geist ist extrem mächtig, und wir arbeiten immer noch daran zu verstehen, wie er für die Schmerzbehandlung nutzbar gemacht werden kann", sagt Fadel Zeidan, Professor für Anästhesiologie und Erstautor der Studie in einer Pressemitteilung. "Durch die Trennung des Schmerzes vom Selbst und den Verzicht auf wertende Urteile kann die Achtsamkeitsmeditation unser Schmerzerleben direkt verändern, und zwar auf eine Weise, die keine Medikamente benötigt, nichts kostet und überall praktiziert werden kann."