Über Kranke zu lachen, ist nicht gerade nett – außer vielleicht, sie übertreiben ihre Leiden. Das legt die Rede von der Männergrippe nahe: Nutzen Männer harmlose Erkältungen als Vorwand, um sich bemitleiden und umsorgen zu lassen? Oder könnte es sein, dass Männer tatsächlich härter von Erkältungen getroffen werden als Frauen?
Forschende der Universität Innsbruck haben nun untersucht, ob die Männergrippe sich objektiv nachweisen lässt. Dazu bewerteten sie, wie stark die Symptome von 113 erkälteten Frauen und Männer waren. Zusätzlich befragten sie die Betroffenen, wie stark sie unter ihren Infekten litten. Der Vergleich der Antworten zeigte: Männer leiden nicht stärker an Erkältungen als Frauen. Eine Männergrippe, die Männer härter treffe als Frauen, gebe es also nicht, so die Fachleute in ihrer Studie "Man flu is not a thing".
Männer erkälten sich öfter als Frauen – wegen Testosteron
Dabei gab es in den letzten Jahrzehnten Untersuchungen, die nahelegten, dass Männer sich mehr erkälten als Frauen. Ein Grund ist das Hormon Östrogen. Bei Frauen kommt es vermehrt vor, es regt die Vermehrung von Antikörpern an. Diese Antikörper hegen virale Infektionen gezielt ein. Bei Männern hingegen kommt vermehrt das Hormon Testosteron vor: Es verringert die Reaktion des Immunsystems. Infektionen verlaufen bei ihnen daher weniger entzündlich, werden aber auch weniger schnell abgewehrt. Tatsächlich heilten die Frauen in der Innsbrucker Studie schneller als die Männer, bezogen auf Symptome wie Nasenverstopfung, Schnupfen, Kopf- und Gesichtsschmerzen.
Forschungsgruppe: Männergrippe existiert nicht
Die Forschungsgruppe schloss trotzdem, dass Männergrippe nicht existiert: Dafür müssten Männer empfindlicher auf Erkältungen reagieren als Frauen. Aber auf den Fragebögen gaben die Männer nicht an, stärker zu leiden als Frauen oder sich langsamer von den körperlichen Symptomen zu erholen.
Ob es Männergrippe im medizinischen Sinn gibt oder nicht, ist demnach auch eine Frage der Definition: Soll Männergrippe eine schwerere Erkältung bedeuten oder einen höheren Leidensdruck?
Ergebnis: Männergrippe ist ein Klischee
Wie die Forschenden zugeben, sind ihre Ergebnisse nicht völlig eindeutig. Erkrankungen werden bei Frauen häufig weniger gründlich und erst später diagnostiziert; auf Fragebögen geben Frauen häufig mehr Krankheitssymptome an als Männer. Dies sind Effekte, deren Einfluss auf die Innsbrucker Studie nicht klar sind. Einen medizinischen Beweis für eine vollumfängliche Männergrippe gibt es jedenfalls nicht – und erst recht keine Viren, die nur Männer befallen.
Letzten Endes bleibt Männergrippe vor allem eins: ein Klischee, das auf überholten Geschlechterrollen basiert. Medizinisch gesehen leiden jede Patientin und jeder Patient anders, alle sollten individuell behandelt werden. Klischees machen das nicht leichter.