Persönlichkeit Einmal Narzisst, immer Narzisst? Wie sich übersteigerte Selbstliebe im Lauf des Lebens wandelt

Ein Mann trägt einen großen Sonnenhut und hält sich die Hand vors Gesicht
Blind für die Welt und in Selbstliebe sonnend: So machen Narzissten anderen das Leben schwer
© Diane Villadsen / Stocksy
Angehörige, Kolleginnen, Partner und Freunde leiden unter ihnen: Menschen, die in besonders ausgeprägter Weise von eigener Grandiosität überzeugt sind, andere abwerten und ständig nach Anerkennung gieren. Immerhin zeigt die Forschung: Narzissten nerven nicht in allen Altersspannen gleichermaßen

Jahrzehntelang waren Wissenschaftlerinnen und Forscher der Auffassung, unser Wesen sei spätestens nach der Pubertät ausgebildet – und damit für den Rest des Lebens unverrückbar, quasi in Stein gemeißelt. Heute vergleichen Vertreterinnen und Vertreter der Persönlichkeitspsychologie den Charakter eines Menschen eher mit einer Knetmasse: Er ist (zumindest in Grenzen) vielseitig und vor allem über das gesamte Leben hinweg formbar. 

Wer sich nur stark genug anstrengt, der kann nach diesem Konzept einen Wesenswandel in Gang setzen und so etwa auf lange Sicht weniger verschlossen und dafür offener, weniger sorglos und dafür optimistischer, weniger chaotisch und dafür strukturierter durch seine Tage gehen. Nicht zufällig nährt die Möglichkeit eines anderen Ichs seit Jahren eine stetig wachsende Selbstoptimierungsindustrie. 

Doch dass ausgeprägte Narzissten davon Gebrauch machen, ist nur schwer vorstellbar. Menschen also, die sich in Selbstliebe sonnen und von der eigenen Grandiosität überzeugt sind. Schließlich sind Narzissten in der Regel derart von sich eingenommen, dass ihr Interesse an einem Wesenswandel gering sein dürfte. Gerade für Angehörige und Beziehungspartner eine ernüchternde Erkenntnis: Sie leiden am deutlichsten, wenn ein Nahestehender ständig nach Anerkennung giert oder sich egoistisch und ausbeuterisch verhält.  

Narzissmus schwächt sich im Lauf des Lebens ab

Die Wissenschaft hat trotzdem eine ermutigende Nachricht parat: Eine jüngst veröffentlichte Metastudie der Universität Bern kommt nämlich zu dem Schluss, dass Menschen mit ausgeprägtem Narzissmus dazu tendieren, mit den Jahren etwas verträglicher zu werden, ganz ohne eigenes Zutun. 

Hauptautor Ulrich Orth und sein Team analysierten Daten von 51 Längsschnittstudien, die der Frage nachgingen, in welcher Weise sich narzisstische Persönlichkeiten im Lauf des Lebens entwickeln. Manche Untersuchungen verfolgten die insgesamt 37.247 Teilnehmenden im Alter von acht bis zu 77 Jahren über Jahrzehnte. Drei Typen von Narzissmus standen im Fokus: agentischer, antagonistischer und neurotischer Narzissmus (es gibt auch anders lautende Differenzierungen). 

Zum agentischen Narzissmus zählen Gefühle der Grandiosität oder Überlegenheit und ein starkes Bedürfnis nach Bewunderung; antagonistischer Narzissmus zeichnet sich durch Arroganz, Anspruchsdenken und geringe Empathie aus; neurotischer Narzissmus ist durch mangelnde Gefühlsregulation und Überempfindlichkeit gekennzeichnet. 

Soziale Rollen machen Narzissten verträglicher

Insgesamt stellten die Forschenden fest, dass alle drei Arten von Narzissmus von der Kindheit bis ins hohe Alter tendenziell leicht abnahmen, am ehesten Formen des antagonistischen und neurotischen Narzissmus. Ebenso zeigte sich: Unterschiede zwischen Altersgenossen änderten sich nicht wesentlich. Mit anderen Worten: Wer als Kind überdurchschnittlich narzisstisch war, blieb auch als Erwachsener überdurchschnittlich narzisstisch – nur eben auf einem geringeren Niveau.  

Eine Erklärung für die Abnahme könnte darin bestehen, dass Menschen mit den Jahren generell weniger egoistisch, emotional reifer und stabiler werden. Vor allem eigene Kinder scheinen dazu beizutragen, dass sich die Selbstbezogenheit abschwächt: Wer Vater oder Mutter wird, kreist nicht mehr nur um eigene Bedürfnisse, sondern lernt, sich selbst zurückzunehmen. Auch andere soziale Rollen könnten diesen Effekt haben.

Alle Älteren, die über selfieverliebte Teenager ihre Nase rümpfen, sollten sich also fragen, ob sie in jungen Jahren nicht selber ein wenig egozentrischer waren als sie es heute sind. Die Hoffnung, dass eitle, bestätigungssüchtige Charaktere im Lauf der Jahre angenehmer werden, ist zumindest – nun auch wissenschaftlich – begründet.

Mehr zum Thema