Ich stehe in der U-Bahn. Die Türen öffnen sich und immer mehr Menschen quetschen sich in die ohnehin schon überfüllte Bahn. Ein Geschäftsmann im Anzug schreit energisch in sein Handy, ein komplett in rosa gekleidetes Baby quengelt im Kinderwagen nach seinem Schnuller, ein paar Reihen weiter hinten rollen erste Fangesänge an – der FC St. Pauli spielt.
Eine auditive Reizüberflutung par excellence. Zur Entspannung schnappe ich mir meine Kopfhörer und lasse mich von meiner Lieblingsband anschreien. Das hilft. Normalerweise. Jetzt ist der Akku der Kopfhörer leer. Ich bin genervt. Beim Anfahren der U-Bahn ruckelt es ein wenig, sodass sich der Typ neben mir, nachdem er mich mehrmals angerempelt hat, nun an einer Haltestange an der Decke festhält. Sein Arm baumelt jetzt direkt vor meinem Gesicht, keine 20 Zentimeter trennen seinen muskulösen Oberarm von meinem Mund.
Ich rieche seinen Schweiß. Wie aus dem Nichts überkommt mich ein unbändiges Verlangen: Ich möchte in diesen Arm beißen. Nein. "Ich muss einfach in diesen Arm beißen", ruft es in mir. Mein Pulsschlag verdoppelt sich, mir wird heiß, ich schwitze. Der Impuls ist so groß, dass es mich all meine Überwindungskraft kostet, es nicht zu tun.
Ich muss mich wegdrehen, um nicht weiter in Versuchung zu sein. Ich atme tief durch und schließe die Augen. Eins, zwei, drei, vier. Einatmen – eins, zwei, drei, vier – ausatmen. Ich öffne die Augen, die Bahn hält an, und der Typ steigt aus. Puh, das war knapp, ein tiefer Seufzer bahnt sich seinen Weg, und die Anspannung schwillt ab.
Ich schaue mich verstohlen um. Hat jemand etwas von meinem animalischen Impuls mitbekommen? Sah ich aus wie ein lauerndes Raubtier auf Beutejagd? Erleichterung macht sich breit, als ich keine entgeisterten Blicke erkennen kann. Ich seufze erneut, diesmal ein wenig leiser. In solchen Momenten komme ich mir wirklich ein wenig verrückt vor und frage mich ernsthaft: Warum will ich ständig Leute beißen? Ist das normal?
