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3500 Jahre altes Artefakt Geraubte Kunst: USA geben Tafel mit legendärer Gilgamesch-Erzählung an den Irak zurück

Die "Gilgamesch-Traumtafel": Das 3500 Jahre alte Werk wurde im Zuge des Zweiten Golfkrieges 1990/91 aus einem irakischen Museum gestohlen und landete in den USA. Im September 2021 hat die US-Regierung die Tafel zurückgegeben
Die "Gilgamesch-Traumtafel": Das 3500 Jahre alte Werk wurde im Zuge des Zweiten Golfkrieges 1990/91 aus einem irakischen Museum gestohlen und landete in den USA. Im September 2021 hat die US-Regierung die Tafel zurückgegeben
© picture alliance / Cover Images | ICE/Cover-Images.com
Die Gilgamesch-Erzählung ist das älteste literarische Werk der Geschichte, geschaffen von Schreibern in Mesopotamien. Doch in den Wirren des Zweiten Golfkriegs stahlen Diebe ein Fragment des Epos aus einem Museum, das über Umwege in den Vereinigten Staaten landete. Jetzt gibt die US-Regierung die "Gilgamesch-Traumtafel" zurück

Der Schatz ist so kostbar, dass sein Wert in Zahlen nicht zu beziffern ist: Die Steintafeln des Gilgamesch-Epos, vor Jahrtausenden geschaffen, beschreiben den ältesten schriftlich erhaltenen Mythos der Menschheit. Sie stehen für die Erfindung der Literatur und das Vermächtnis der Sumerer, der ersten Hochkultur Mesopotamiens.

Ein Fragment dieses Epos kehrt jetzt an seinen Ursprungsort zurück: Am 23. September hat das US-Justizministerium in Washington D.C. die sogenannte Gilgamesch-Traumtafel an Delegierte des Irak ausgehändigt. Es ist das Ende eines skrupellosen Kunstraubs.

Irak in den Jahren 1990/91: Im Zuge des Zweiten Golfkrieges wurden zahlreiche Kultur- und Ausgrabungsstätten geplündert. Dabei stahlen Diebe aus einem Museum auch die etwa 13x15 cm große "Traumtafel" mit Keilschriftzeichen. Über den Antiquitäten-Schwarzmarkt landete sie unter falschen Angaben erst in London, dann in den USA, dann wieder in Großbritannien.

2014 bezahlte die amerikanische Kunsthandwerksgeschäfts-Kette "Hobby Lobby" bei einer Versteigerung 1,67 Millionen Dollar für die "Traumtafel", um sie später im "Museum of the Bible" in Washington D.C., dem größten Bibelmuseum der Welt, auszustellen. Dass es sich um gestohlenes Kulturgut handelt, wusste das Auktionshaus angeblich nicht. Fünf Jahre später beschlagnahmte das US-Ministerium die Steintafel, um sie an den Irak zurückzugeben. "Diese außergewöhnliche Restitution ist ein großer Sieg über diejenigen, die das Erbe verstümmeln", erklärt Audrey Azoulay, Generaldirektorin der Unesco dazu. Die Rückgabe helfe den Menschen im Irak, sich mit einer Periode ihrer Geschichte auseinanderzusetzen.

Mit 3500 Jahren gehört die Tafel zu den ältesten erhaltenen Fragmenten des Epos. Weitere, noch ältere Bruchstücke der Erzählung beweisen, dass der Mythos auf die Zeit vor 5000 Jahren zurückgeht – geschaffen in Uruk, der wahrscheinlich ersten Metropole der Welt, 280 Kilometer entfernt vom heutigen Bagdad.

Hier erfanden die Bewohner im 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung die Keilschrift, und gaben mit ihr bald ganze Geschichten weiter. So schildert die "Traumtafel" unter anderem, wie König Gilgamesch von Uruk seiner Mutter Ninsun von zwei Träumen erzählt und sie um Rat fragt, wie diese zu verstehen seien. Ninsun weissagt ihm die Ankunft eines Freundes.

Gilgamesch wandelte sich vom Tyrannen zum vorbildlichen Herrscher

Der gesamte Epos, überliefert in altbabylonischem Akkadisch, Hurritisch und Hethitisch, beschreibt, wie Gilgamesch einst sein Volk brutal unterdrückte – damit aber die Götter erzürnte. Sie schufen ein wildes Wesen namens Enkidu, das den Tyrannen bezwingen sollte. Doch da keiner der beiden Kontrahenten den anderen im Kampf besiegen konnte, wurden sie Freunde und bestanden zahlreiche Abenteuer. Bis Gilgamesch eines Tages erneut die Götter gegen sich aufbrachte, die zur Strafe Enkidu sterben ließen. Der untröstliche König wollte den Tod nicht akzeptieren und reiste auf der Suche nach dem Elixier ewigen Lebens bis ans Ende der Welt. Statt Unsterblichkeit fand er Läuterung: Im Hier und Jetzt wollte er fortan zum Wohl der Allgemeinheit beitragen und wandelte sich zum vorbildlichen Herrscher. 

Auch in Europa fordern immer mehr Forschende, die Herkunftsgeschichte von Kulturgütern aus Afrika, Asien und Ozeanien genauer zu untersuchen. „Weit mehr als drei Viertel der Bestände in europäischen Museen sind in der Kolonialzeit zu uns gelangt“, sagt die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy. Damit handelt es sich potenziell um Raubgut. Savoy fordert, dass Kunstschätze großzügig an die Ursprungsländer zurückgegeben werden sollten – wenn diese das fordern. „Wer einem Land seine Kulturobjekte nimmt, raubt seinen Menschen in gewisser Hinsicht die Kraft und die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln und zu bilden“, meint sie. Deshalb erklären sich auch deutsche Museen immer häufiger zu Restitutionen bereit. So wurde etwa beschlossen, von 2022 an sogenannte „Benin-Bronzen“, die 1897 von britischen Kolonialtruppen geraubt und von deutschen Museen angekauft worden waren, an Nigeria zurückzugeben.

Ob es den sagenhaften König Gilgamesch wirklich gegeben hat, ist bis heute historisch nicht belegt. Die Wiederentdeckung der Erzählung ist dem englischen Assyriologen George Smith im 19. Jahrhundert zu verdanken: Er entzifferte erstmals Passagen des Epos, die 1853 im Irak gefunden worden waren. 1873 entdeckte Smith in den Ruinen der antiken Metropole Ninive selber weitere Tafeln mit Erzählungen um König Gilgamesch.

Seine Übersetzungen waren eine Sensation, denn die Texte handeln auch von einer Sintflut: Die Schilderungen ähneln bis ins Detail denen im Buch Genesis über Noah und seine Arche – sind aber deutlich älter als das Alte Testament. Demnach sind die Autoren des Noah-Textes keineswegs die Urheber der Geschichte, sondern haben das Gilgamesch-Epos wohl gekannt und Teile übernommen.

Für den Irak soll die Rückgabe der "Traumtafel" erst der Anfang sein: Gut 17.000 illegal entwendete und geschmuggelte Artefakte wollen die USA dem Land aushändigen, darunter bis zu 4000 Jahre alte Statuen und Schnitzereien aus Mesopotamien. 

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