Am Freitag, dem 25. August 1939, hängt ein Schild an der Eingangstür des Pariser Museums Louvre. Darauf steht "Wegen Wartungsarbeiten vorübergehend geschlossen". Reparieren werden die Mitarbeiter an jenen Sommertagen jedoch nichts. Jacques Jaujard, zu dieser Zeit Direktor der französischen Musées Nationaux, der Nationalmuseen, zu denen auch der Louvre gehört, orchestriert Ende August 1939 den größten Raubzug, der das berühmte Kunsthaus getroffen hat.
Jaujard hatte die Zeichen der Zeit erkannt: Zehn Tage vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs plündern er und seine Mitarbeiter 3690 Gegenstände aus der Sammlung des Louvre: Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Statuen, Vasen, Möbel, Wandteppiche, Juwelen, Bücher und andere Schätze werden sorgfältig in Tücher eingewickelt, in Holzkisten verpackt und dann aus dem Museum geschmuggelt. Dabei räumen die Mitwirkenden die Prunksäle beinahe vollständig aus.
Dieser Coup soll kostbarste Werke wie die "Venus von Milo" oder die "Mona Lisa" vor den Händen der Nationalsozialisten bewahren. Denn sie sind schon damals dafür bekannt, Kunst zu beschlagnahmen, nicht nur die jüdischer Künstler.
Hunderte sind in die Aktion involviert: Pförtner, Kuratoren, Archivare, Kritiker und Studierende verpacken Tausende Artefakte und kategorisieren die Meisterwerke mit einem Farbcode: Ein gelber Aufkleber steht für sehr wertvolle Kunstwerke, ein grüner für bedeutende Werke und ein roter für Weltkulturschätze. Auf einer der Kisten prangen drei rote Sticker, darin liegt die "Mona Lisa".
Wie etliche Objekte aus der Sammlung des Louvre stellt das Gemälde "Das Floß der Medusa" die Diebe vor eine besondere Herausforderung: Der französische Künstler Théodore Géricault hat die Szene eines Schiffbruchs auf eine fast fünf Meter hohe und sieben Meter breite Leinwand gemalt. Im Sommer 1939 braucht es deshalb rund ein Dutzend Menschen, um das Meisterwerk behutsam aus dem Museum zu tragen und aufrecht auf einem Theaterkulissenanhänger zu verladen. Noch bei Versailles kracht das Fahrzeug in eine Oberleitung – das Bild wird dabei zum Glück nicht beschädigt.
Vor dem Eingang des Museums gegenüber der Seine reihen sich Dutzende Transporter, in jedem Wagen sitzt auch ein Louvre-Mitarbeiter. Sie bringen die Artefakte aus der französischen Hauptstadt an abgelegene Orte im Süden des Landes. Schlösser, Burgen, Kirchen und Klöster bieten den Schätzen Zuflucht: Am 1. September verlässt "Nike von Samothrake", eine griechische Statue der Göttin des Sieges, als Letzte das Museum. Es ist der Tag, an dem die deutsche Wehrmacht Polen überfällt und der Zweite Weltkrieg beginnt. Ein Jahr später besetzen die Nationalsozialisten Frankreich. Am 14. Juni 1940 marschieren sie in Paris ein.
Der französische Direktor und der deutsche Aristokrat
Am 16. August 1940 besichtigt Franz Graf Wolff-Metternich den Louvre, Hitler hatte den Aristokraten beauftragt, die Kunstsammlung im besetzten Frankreich zu beaufsichtigen. Als Wolff-Metternich durch die Säle spaziert, sieht er nur leere Rahmen und verlassene Sockel: ein Geistermuseum. Doch in seinem Tagebuch hält Jaujard fest, dass ihm der Graf bei diesem Anblick fast erleichtert erschien. Am 1. Oktober 1940 öffnet das Haus wieder: Im Untergeschoss werden einige der verbliebenen Werke gezeigt. Hauptsächlich Soldaten besuchen das Kunsthaus. Später dienen leere Louvre-Säle als Stauraum für Kunstwerke, die die Nationalsozialisten bei ihrem Feldzug durch Europa erbeuten.
Jaujard bleibt während der deutschen Besatzung im Amt. Der Leiter der französischen Nationalmuseen agiert geschickt mit den Nationalsozialisten, täuscht Kollaboration vor, während er im Geheimen dafür sorgt, dass seine Kostbarkeiten geschützt bleiben. Und der deutsche Kunsthistoriker Wolff-Metternich hilft ihm, die verbliebenen Schätze vor Plünderungen durch Hermann Göring, Joseph Goebbels und Joachim von Ribbentrop zu bewahren. Er vereitelt Beschlagnahmungen und versucht, wichtige Werke vor dem Abtransport nach Deutschland zu verteidigen. Dafür wird er schließlich zurück nach Deutschland beordert, 1943 entlassen ihn die Nazis aus seinem Amt des Kunstbeauftragten in den besetzten Gebieten. Frankreich verleiht dem Deutschen dagegen nach dem Krieg den Orden der Ehrenlegion. "Er hat unsere Kunstschätze vor der Gier der Nazis und insbesondere Görings geschützt", so der damalige französische Präsident Charles de Gaulle.
Eine Renaissance-Dame auf Tour de France
Die "Mona Lisa" begibt sich am 28. August 1939 auf eine langwierige Reise quer durch Frankreich. Das Da-Vinci-Gemälde muss häufig das Versteck wechseln. Für den Transport bekommt die Renaissance-Dame einen eigenen Holzkasten und wird zusätzlich in einen eigens für sie geschaffenen Handkoffer eingeschlossen. "La Gioconda", also "die Heitere", wie sie in ihrer italienischen Heimat genannt wird, zieht vom Loire-Schloss Chambord über Klöster und Museen und schließlich ins Schloss Montal im Südwesten Frankreichs. Kuratoren bewachen das Bild der Frau mit dem geheimnisvollen Lächeln rund um die Uhr.
An mehr als 60 Orten in Frankreich sind die Stücke aus dem Louvre versteckt. Beim kleinsten Anzeichen von Gefahr, wie Bombenangriffen, Razzien der Nationalsozialisten oder auch einem Besuch von französischen Kollaborateuren, ziehen die Kunstwerke weiter. Jaujard organisiert ihren Transport von Schloss zu Schloss. Zudem müssen die Schätze konservatorisch angemessen gelagert und gepflegt werden. Feuchtigkeit ist ihr größter Feind. Um die ägyptische Statue des "Sitzenden Schreibers" zu erhalten, schickt Jaujard elektrische Heizungen und Hygrometer in deren Unterkunft. Nur so überstehen die mehr als 2000 Jahre alte Kalksteinskulptur und weitere empfindliche Stücke aus der Louvre-Sammlung die Zeit im Versteck unbeschadet.
Die "Mona Lisa" lächelt weiter
Über kodierte Nachrichten, versendet im britischen Radio BBC, nimmt Jaujard Kontakt zu den Alliierten auf. Damit sie seine Kunstverstecke nicht bombardieren, müssen sie wissen, an welchen Orten die Meisterwerke lagern. Verschlüsselt gibt der Museumsdirektor die Koordinaten durch. Als Antwort erhält er den Satz: "La Joconde a le sourire", was so viel bedeutet wie "Die Mona Lisa lächelt".
Am 6. Juni 1944 landen die Alliierten in der Normandie. Langsam ziehen sich die Nationalsozialisten aus Frankreich zurück; am 25. August 1944 wird Paris befreit. Es dauert noch fast ein Jahr bis am frühen Morgen des 15. Juni 1945 ein Konvoi den Schlosshof in Montal in Richtung Paris verlässt. In einem der drei Fahrzeuge liegt eine Holzkiste mit drei roten Aufklebern, die "Mona Lisa" kehrt endlich nach Paris zurück.
Am 10. Juli 1945 öffnet der Louvre wieder für Besucherinnen und Besucher: Eine Sonderausstellung zeigt die 90 zurückgekehrten Sammlungsstücke, darunter die "Venus von Milo", "Nike von Samothrake" und Michelangelos "Sterbender Sklave" und die "Mona Lisa". Nach und nach erhalten mit den 3690 geretteten Objekten auch François Bouchers Rokoko-Malerei "Badende Diane", Eugen Delacroix' "Die Freiheit führt das Volk" und der "Sitzende Schreiber" wieder einen Platz im Louvre. Kein einziges Stück ist beschädigt. Jaujard und seine Helfer haben sie allesamt gerettet.