Denken Sie mal an ihre Schulzeit: Bei manchen Lehrern wollten die Minuten einfach nicht vergehen, die Stunde erschien uns unerträglich lang zu sein. Erinnern Sie sich? Bei anderern Fächern hingehen verstrich die Zeit "wie im Fluge". Dabei war die Schulstunde genau gleich lang, 45 Minuten.
Auch heute ergeht es uns häufig so. Wenn uns etwas Spaß macht, scheint die Zeit schneller zu vergehen, als wenn uns etwas langweilt. Diesem Phänomen sind Forschende jetzt in zwei unterschiedlichen Studien auf den Grund gegangen. Beide Gruppen stellten fest: Der eigene Herzschlag beeinflusst die Empfindung unseres Zeitgefühls.
Wie unser Herz die Zeit verzerrt
Herz und Gehirn stehen in ständiger Kommunikation miteinander. Denn unser Herz sendet bei jedem einzelnen Herzschlag Signale an das Gehirn. Forschende nutzten nun diese Erkenntnis, um besser zu verstehen, wie Zeitverzerrungen entstehen können.
Wissenschaftler*innen vom Institut für Psychologie der University of London haben untersucht, wie unsere Zeitwahrnehmung von den Signalen abhängt, die unser Gehirn empfängt. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht.
Für die Studie wurden zwei Experimente durchgeführt. Zunächst sollten 67 Versuchspersonen lernen, eine kurze (0,2 Sekunden) von einer langen (0,4 Sekunden) Referenzdauer zu unterscheiden. Dann wurde den 28 Teilnehmenden ein emotional neutraler Reiz vorgeführt (ein Ton wurde gespielt oder ein Muster gezeigt). Sie sollten einschätzen, wie lange der visuelle oder akustische Reiz andauerte.
Im zweiten Experiment wurden der anderen Gruppe von 39 Personen Bilder gezeigt, auf denen fröhliche oder ängstliche Gesichter zu sehen waren. Die Personen sollten angeben, wie emotional erregt sie sich durch das Bild gefühlt hatten.
Bei beiden Experimenten wurden die Reize entweder während eines Herzschlags gezeigt – in diesem Moment zieht sich das Herz zusammen und sendet weniger Signale an das Gehirn – oder ein Signal wurde den Probanden zwischen den Herzschlägen gezeigt. Dann, wenn sich das Herz entspannt, und mehr Informationen an das Gehirn sendet.
Zeitempfinden: Wenn wir emotional sind, vergeht die Zeit schneller
Das Ergebnis: Zwischen zwei Herzschlägen empfanden die Menschen die Zeit als länger. Wenn ihr Herz gerade schlug, als sie den Reiz präsentiert bekamen, empfanden die Menschen dasselbe Ereignis als kürzer. "Diese Kontraktions- und Expansionsmuster zeigen, wie unsere Zeitwahrnehmung ständig von unseren inneren physiologischen Zuständen beeinflusst wird", sagt die Leiterin der Studie, Dr. Irena Arslanova.
Die Wissenschaftler*innen erklären sich diesen Vorgang in unserem Körper folgendermaßen: Herzschläge sind "Lärm" für unser Gehirn. Zwischen den Herzschlägen hat das Gehirn wieder mehr Kapazität, um Reize zu verarbeiten. Es empfängt mehr Sinneseindrücke – das könnte die Zeit ausgedehnter erscheinen lassen.
Außerdem fanden die Forschenden heraus: Je emotional intensiver die traurigen oder fröhlichen Gesichter in Versuch zwei wahrgenommen wurden, desto schneller verging die gefühlte Zeit. Emotionale Erregung kann die erlebte Dauer also verkürzen. Mit zunehmender Erregung verschwand bei dem Versuch sogar die durch das Herz verursachte Zeitverzerrung.
Somit zieht sich die erlebte Zeit mit jedem Herzschlag zusammen und dehnt sich aus – ein Gleichgewicht, das bei erhöhter Erregung gestört wird.
Der Herzschlag gibt uns ein Gefühl dafür, wie die Zeit vergeht
Eine Forschungsgruppe von der Cornell University in Ithaka (USA) kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Sie bestätigte, dass unsere momentane Zeitwahrnehmung nicht kontinuierlich ist, sondern sich mit jedem Herzschlag ausdehnen oder verkleinern kann. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Psychophysiology veröffentlicht.
Bei dem Experiment wurde die Herzaktivität von 45 Studienteilnehmenden mit einem Elektrokardiogramm (EGK) überwacht. Das EKG war mit einem Computer verbunden, der nach jedem Herzschlag einen kurzen Ton abspielte.
Auch hier zeigte sich: Bei einer niedrigeren Herzfrequenz wurden die Töne als länger wahrgenommen. "Denn wenn das Zeitintervall zwischen den Herzschlägen größer ist, hat das Gehirn in den Pausen mehr Zeit, um Informationen wahrzunehmen und zu verarbeiten. Die intensivere Wahrnehmung verlängert so die subjektive Zeitdauer", erklärt Dr. Marc Wittmann, einer der Leiter der Studie, im Gespräch mit GEO.
Bei beiden Studien kam also heraus: Wenn das Herz langsam schlägt, vergeht die Zeit gefühlt langsamer, weil wir dann mehr Informationen verarbeiten. Wenn es schneller schlägt, vergeht die Zeit für uns schneller. Unser Gehirn nutzt den Herzschlag also, um uns ein Gefühl dafür zu geben, wie die Zeit vergeht. Somit spielt das Herz eine grundlegende Rolle dabei, wie wir die Zeit bewerten.