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Indien Das Gift der Götter: Vom zweiten Leben der Opferblumen

Ihre Blüten sind leuchtende Gebete. Doch jedes Jahr verstopfen rund acht Millionen Tonnen Opferblumen aus Indiens Tempeln die Flüsse und werden dort zur Umweltplage. Jetzt verleihen findige Menschen dem heiligen Abfall ein zweites Leben
Am Festtag Vasant Panchami feiern im Mausoleum des Sufi-Heiligen Nizam ad-Din Auliya in Delhi Gläubige verschiedener Religionen gemeinsam den Frühling: Sie paradieren durch die Gassen und lassen Blütenblätter regnen
Am Festtag Vasant Panchami feiern im Mausoleum des Sufi-Heiligen Nizam ad-Din Auliya in Delhi Gläubige verschiedener Religionen gemeinsam den Frühling: Sie paradieren durch die Gassen und lassen Blütenblätter regnen
© Harsha Vadlamani

Dieses Gift brennt nicht in den Lungen wie der Smog, der die Köpfe schmerzen und die Augen tränen lässt und Delhis Luft zur schlechtesten der Welt macht. Es dröhnt nicht in den Ohren wie die Hupkonzerte, die hier zu einem einzigen nervenzerfetzenden Dauerton verschmelzen. Es sticht auch nicht in die Nase wie die Ausdünstungen der Müllberge, die ganze Straßenzüge säumen und Brachflächen überschwemmen.

Dieses Gift ist ein heiliges Gift, und ja, es kann schön sein. Graziös treibt es den Yamuna hinab, einen der großen heiligen Flüsse Indiens, leicht schwebt es auf der glatten Oberfläche, in Weiß und Gelb, in feurigem Rot und in fruchtigem Orange. 

Es strudelt, strandet in Sandbuchten, an Steinmauern, an den ghats, den Stufen, die vom Ufer zum Wasser hinunterführen. Und das makellose Weiß des Nebels, der am frühen Morgen über dem Fluss liegt, lässt es noch prächtiger leuchten.

Erschienen in GEO 06/24