An einem kühlen Frühlingstag sucht Thomas Dauser mal wieder die Herausforderung seines Lebens. Ein Fels aus Kalkstein, 14 Meter hoch, baut sich über ihm auf wie eine gigantische Kartoffel. Die will er erklimmen, gesichert nur mit einem Seil und ein paar Karabinern. Er wird auf die Kraft seiner Finger vertrauen und auf den Halt seiner Füße, die in Kletterschuhen stecken.
Dauser, zum Zeitpunkt der GEO-Recherche 34 Jahr alt, beschäftigt sich hauptberuflich mit den Eigenschaften Schwarzer Löcher in den Weiten des Universums. 1H0707-495, MAXI J1820+070 oder Cygnus X–1 heißen seine Forschungsobjekte, Lichtjahre entfernt. Der Astrophysiker nähert sich ihnen, indem er ihre Röntgenstrahlung untersucht und einen Wust an Satellitendaten und komplizierten Gleichungen: Schreibtischarbeit.
Auf Dausers Unterarmen aber zeichnet sich ein Flussdelta aus Adern ab, seine Hände tragen Schwielen. Wann immer es geht, bindet er sich ins Seil und greift immer wieder an diesem Felsen nach den Sternen seines Sports. Er will zum Gipfel des Felskopfs klettern – auf einer Route, die sehr kurz ist, aber zu den schwierigsten des Planeten zählt: die "Action Directe", benannt nach einer französischen linksextremen Terrorgruppe, die Anfang der 1980er-Jahre mit Maschinengewehren, Bombenanschlägen und Morden gegen den Staat und die Großindustrie vorging. Der Weg im Gestein, an dem sich Dauser heute zum x-ten Mal versucht, führt in direkter Linie durch eine extrem steile, überhängende Felswand, an der nur winzigste Wölbungen, Absätze und Löcher Händen und Füßen Halt bieten.