Mitfluggelegenheit gesucht Fadenwürmer bauen Türme aus ihren Leibern – um sich transportieren zu lassen

Wurmtürme in der Wildnis
Erstmals im Freiland auf faulendem Obst beobachtet: ein "Nematodenturm" unter dem digitalen Mikroskop
©  Ryan Greenway
Winzige Würmer wurden erstmals im Freiland dabei beobachtet, wie sie kleine Türme aus lebenden Körpern bilden. Mit dem Ziel, sich als blinde Passagiere von Insekten mitnehmen zu lassen

Kooperation ist im Tierreich verbreitet: Orcas und Wölfe jagen gemeinsam, Feuerameisen bauen aus ihren Leibern Flöße, um sich bei Überschwemmungen zu retten. Doch auch mikroskopisch kleine Fadenwürmer, deren Gehirn aus nur 300 Nervenzellen besteht, arbeiten zusammen – um ihre Verbreitungsgeschwindigkeit zu potenzieren: Sie bilden, wenn die Nahrung knapp oder die Konkurrenz zu groß wird, Türmchen aus ihren Körpern. Und erhöhen so die Chance, an vorbeifliegenden oder vorbeilaufenden Insekten, beispielsweise Fruchtfliegen, hängen zu bleiben. So erreichen sie neue Futterquellen in Entfernungen, die sie aus eigener Kraft nie überwinden könnten.

Aus dem Labor war dieses Verhalten schon bekannt. Allerdings wurde es noch nie im Freiland beobachtet. "Lange Zeit haben in der Natur vorkommende Würmertürme nur in unserer Vorstellung existiert", sagt die leitende Autorin Serena Ding vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in einer Presseerklärung. "Aber mit der richtigen Ausrüstung und großer Neugierde haben wir gesehen, dass sie sich direkt vor unserer Nase befinden." Fündig wurde das Forschungsteam an heruntergefallenen Äpfeln und Birnen in der Nähe des Konstanzer Uni-Geländes.

Daniela Perez hat einen kontrollierten Turm aus Laborkulturen von C. elegans konstruiert.
Die Forschende ließen im Labor einen Turm aus Fadenwürmern der Art Caenorhabditis elegans wachsen
© Daniela Perez

Co-Autor Ryan Greenway hat für die Aufnahmen monatelang faulendes Obst mit einem digitalen Mikroskop untersucht und gefilmt. Mit einem erstaunlichen Ergebnis. Denn die Tiere bilden nicht einfach nur ein Türmchen: Sie bewegen sich kollektiv in Richtung von Objekten, ganz so, wie es auch Einzeltiere tun. Sie reagieren auf Berührungen, lösen sich von Oberflächen und heften sich an Objekte in der Nähe – zum Beispiel sitzende Fruchtfliegen.

"Eine koordinierte Struktur, ein Superorganismus in Bewegung"

Im Labor konnte das Team mit der Borste einer Zahnbürste als "Kletterhilfe" einen Turm "nachbauen". Und beobachtete, wie sich die lebendigen Türme bildeten, "Arme" in die Umgebung ausstreckten oder Brücken formten. "Als wir sie berührt haben, sind sie dem Reiz sofort entgegengewachsen und haben sich an ihn geheftet", sagt Erstautorin Daniela Perez, Postdoktorandin am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. Und resümiert: "Ein Nematodenturm ist nicht nur ein Haufen Würmer. Es ist eine koordinierte Struktur, ein Superorganismus in Bewegung." Vergleichbar eben jenen Feuerameisen, die bei Flutkatastrophen Flöße aus ihren Leibern bilden.

Hinweise auf eine Aufgabenteilung im Nematodenturm fand das Team nicht. Die Forschenden halten es aber für möglich, dass Tiere an unterschiedlichen Stellen im Turm unterschiedliche Funktionen erfüllen. So könnten einige aktiv am Bau beteiligt sein, während andere nur von der Arbeit des Kollektivs profitieren.

Frühere Studien konnten zeigen, dass die Tiere noch andere Tricks auf Lager haben, um ihre Ausbreitung zu beschleunigen: Sie nutzen elektrostatische Ladungen, um sich an vorbeifliegende Insekten anzuheften.

Die etwa einen Millimeter langen Fadenwürmer sind nicht nur zu kollektivem Verhalten fähig – sie sind auch extrem widerstandsfähig. Das Space Shuttle "Columbia" führte 2003 auch Fadenwürmer mit sich. Nach dem Absturz des Raumschiffs konnten Monate später Behälter geborgen werden, in denen sich lebende Nachkommen fanden.