In meinem ganzen langen Bühnenleben bin ich nur ein einziges Mal betrunken aufgetreten. Ausgerechnet an dem Tag, an dem ich die berühmteste Naturforscherin der Welt kennenlernte. Sie fand das sehr, sehr lustig. Und es war ja auch ihre Schuld.
Ich sollte in Hamburg eine Veranstaltung moderieren. "A day with Jane Goodall". Eine dieser zähen Fundraising-Veranstaltungen, von denen Jane im Laufe der Jahrzehnte Tausende ertragen musste, um Geld für die gute Sache einzuwerben. Sie hat sich nie beklagt, reiste bis zum Ende 300 Tage im Jahr um die Welt, unermüdlich, weil sie spürte, wie viel Hoffnung sie anderen geben kann, und weil sie es als ihre Pflicht ansah, genau das auch zu tun. Als sie 75, 80, 85 und 90 wurde und auch dazwischen habe ich sie gefragt, ob sie nun nicht genug getan habe. Und wie lange sie das noch ertragen könne. 300 Reisetage pro Jahr, die Hotelzimmer, die vielen Menschen, die immer gleichen Gespräche, die kreischenden Fans und die geldschweren Dinner-Gäste, deren Interesse an Schimpansen nach einem gemeinsamen Foto mit Jane so schnell erlosch wie die Blitzlichter ihrer Handys. Sie hat dann immer gelächelt, mich angeblickt wie ein Kind, das noch nicht verstanden hat: "Ich kann nicht aufhören. Hoffnung ist die Kraft, die mich am Leben hält. Menschen brauchen Hoffnung." Jane hat immer gehofft. Bis zum Ende.
"Du musst die Veränderung sein, die du für die Welt willst", hat sie gesagt. Und gelebt. Als ich sie mal in ihrem Hotelzimmer abholte, packte sie gerade das kleine Stück Seife in ihren Koffer, das in Hotels immer auf dem Waschbecken liegt. Sie bemerkte meinen Blick und meinte: "Wenn ich die gebrauchte Seife mitnehme, kann ich im nächsten Hotel ein Stück sparen. Und wenn jeder Mensch auf der Welt jeden Tag ein Stückchen von irgendwas bewahrt, können wir die Welt retten." Wenn ich so was sage, hört es sich albern und pathetisch an. Wenn Jane es sagte, klang es weise. Sie hatte diese Gabe. Sie konnte Seelen berühren.
Bei unserem ersten gemeinsamen Auftritt jedenfalls sollten wir vier Stunden lang vor tausend Leuten über Schimpansen und Naturschutz sprechen. Das Problem: Als ich, von Janes Ruhm ein bisschen eingeschüchtert, ihre Hand schüttelte und mich vorstellte, antwortete sie nur: "Cccchchhhhh" und zeigte auf ihren Hals. Ihre Stimme war weg. Kein einziger der tausend Gäste war meinetwegen da. Alle wollten Jane sehen. Und vor allem hören! Aber sie war verstummt. Als alle Pastillen, Kräutertees und Lutschtabletten ihre Wirkung verfehlt hatten, kippte die Stimmung hinter der Bühne. Das Veranstaltungsteam hyperventilierte, alle riefen durcheinander, und mitendrin saß ich mit der stummen Jane und wusste nicht, was tun. Sie blickte mich an, kam ganz nah an mein Ohr und hauchte: "Whissssskey."
Das Hausmittel aus dem Hause Goodall zeigte Wirkung. Ich war in den nächsten Supermarkt geflitzt, und wir kippten sofort ein, zwei Gläser. "Thank you", sagte Jane schon nicht mehr ganz so hauchend und schenkte mir noch mal ein. Als wir eine halbe Stunde später die Bühne betraten, konnte sie wieder einigermaßen sprechen. Ich nicht mehr. Ich kann mich auch nur noch bruchstückhaft an die vier Stunden erinnern, die wir dort verbrachten. Aber ich weiß noch: Es wurde viel gelacht. Und ein paar Tage später hat Jane mir einen Brief geschrieben. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Zum Tod von Jane Goodall: Das Leben der "Schimpansen-Mama" in Bildern

Zum Tod von Jane Goodall: Das Leben der "Schimpansen-Mama" in Bildern
Einmal habe ich sie in ihrem Elternhaus in Bournemouth besucht, in dem ihre Schwester mit einem Rudel altersschwacher Hunde lebte. Als wir im Wohnzimmer Tee tranken, legte sich einer von ihnen vor uns hin und begann zu furzen. Der Gestank war unerträglich. Da nahm Jane meinen Arm und sagte: "Alle denken, ich liebe Schimpansen. Aber Hunde liebe ich noch viel mehr." Haltung zeigen, egal in welcher Situation, das konnte sie. Very british. Selbst auf den alten Fotos aus Gombe, auf denen sie barfuß durch den Urwald streift, wirkt sie irgendwie distinguiert. Zerbrechlich und zäh, willensstark und weich, emotional und brillant. Eine komplexe Frau.
Die kleine Jane war schon ganz wie die große. Aufmerksam. Beobachtend. Analytisch. Neugierig, vor allem das. Mit diesem Talent löste sie im elterlichen Garten das erste biologische Rätsel ihres Lebens. Ihr war aufgefallen, dass die Hühner im Garten kein Loch hatten, das groß genug war, um ein Ei hindurch zu schieben. Wie also kamen die Eier aus den Hühnern? Little Jane kroch in den Hühnerstall, blieb mucksmäuschenstill, verharrte Stunde um Stunde. Dass ihre Familie inzwischen das Schlimmste befürchtete und alle verzweifelt nach ihr suchten, war ihr völlig egal. Sie kam erst wieder aus dem Stall, als sie wusste, wie das mit dem Ei und der Henne funktioniert. Die Sorgen ihrer Mutter? Nicht so wichtig. So war sie auch später: Fokussiert, aber auch ein bisschen rücksichtslos, wenn etwas oder jemand im Weg stand. Sie konnte hart sein. Das habe ich gespürt, wenn ich sie auf ihre gescheiterte Ehe oder ihren Sohn ansprach. Jane entsprach so gar nicht dem Frauenbild ihrer Generation. Sie lebte ihr Leben selbstbestimmt, unabhängig. Und die Liebe ihres Lebens war die Natur.
Jane gilt als Vorbild für emanzipierte Frauen. Tatsächlich konnte sie mit dieser Zuschreibung recht wenig anfangen. Gleichberechtigung war für sie so selbstverständlich, dass sie gar nicht recht zu verstehen schien, warum alle ständig darüber reden wollen. Sie flirtete gern. Und mochte Kerle wie Tarzan. Der, witzelte sie, "hat die falsche Jane geheiratet."
Tja, das hätte ihr gefallen: Ein Leben in Afrikas Wildnis, jenseits aller Konventionen, völlig frei und vor allem: Voller Abenteuer. Aber kein Zweifel: Sie hätte im Hause Tarzan den Lendenschurz angehabt. Auch ohne ihn wurde ihr Leben zu einem großen Abenteuer. 1960 kam sie nach Tansania. Ohne jede akademische Ausbildung begann sie, in Gombe Schimpansen zu erforschen. Und revolutionierte die Wissenschaft. Sie gab den Tieren Namen, sie entwickelte eine emotionale Beziehung zu ihnen. Sie brachte eine weibliche Perspektive in die damals noch fast ausschließlich männliche – und herzlose – Wissenschaft. Genau das machte sie so erfolgreich. Als Kind liebte sie ihren Hund "Rusty", als Forscherin den alten Schimpanen "Grey Beard". Beide wurden zu "den wichtigsten Lehrern" ihres Lebens. Sie forschte mit Gefühl und Verstand. Das war neu. Das war brillant. Und hat die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschoben.
Wenn ich ihr damals begegnet wäre, dieser zierlichen, blonden Feldforscherin, ich hätte mich sofort in sie verliebt. Klug, abenteuerlustig, unabhängig, furchtlos, ein bisschen wild und dazu auch noch bildschön. Ein Cover-Foto von National Geographic machte aus der Affenforscherin einen Weltstar. Noch mit 90 konnte Jane so lächeln, dass ich mich so unsicher fühlte wie ein Pubertierender beim ersten Date. Ich hatte nie Idole oder Vorbilder, ich meine sogar, man sollte keine haben, aber diese Frau war wie keine andere. Ich habe sie bewundert. Und während ich das schreibe, kommen mir die Tränen.
Verdammt noch mal, Jane, wie sollen wir denn ohne dich weitermachen? Du warst die Hoffnung, die wir brauchen. Wie sollen wir hoffen, ohne deine sanfte Stimme, die Geschichten von Rusty und Grey Beard und Tarzan? Ohne deine Weisheit und Menschlichkeit und Wärme? Die Welt ohne dich – ich mag sie mir nicht vorstellen.