Würden Affen wohl gerne Reality-TV schauen? Schimpansen haben, wie wir Menschen, eine große soziale Neugier. Sie interessieren sich für Beziehungen, Konflikte und Dramen innerhalb einer Gruppe - sogar dann, wenn sie diese nur auf Video sehen. Das zeigt eine im Fachblatt "Proceedings of the Royal Society B" veröffentlichte Studie.
Ein Maximum an sozialen Einblicken
Dafür untersuchte ein internationales Forschungsteam um Laura Lewis von der US-amerikanischen University of California in drei Experimenten die Sehvorlieben von Schimpansen und Menschenkindern: Schauen sie lieber Videos mit sozialen Interaktionen, die etwa spielende Artgenossen zeigen, oder bevorzugen sie Aufnahmen einzelner Individuen ohne soziale Dynamik?
Das Ergebnis: Sowohl die 30 Kinder im Alter zwischen vier und sechs Jahren, als auch die 27 Affen bevorzugten Filme mit sozialer Interaktion, so die Forschungsgruppe: "Schimpansen und Kinder sind neugierige Wesen. Sie empfinden soziale Informationen als lohnend und besitzen die Fähigkeit, gezielt Situationen auszuwählen, die ihnen ein Maximum an sozialen Einblicken gewährt."
Die soziale Neugier beruhe dabei auf mehr als nur auf bloßem Interesse - sie sei ein entscheidender Faktor für ein erfolgreiches Zusammenleben in Gruppen. Bereits im Kindesalter lernen wir durch den Wunsch nach sozialen Informationen, unsere Mitmenschen besser einzuschätzen und erfolgreich soziale Bindungen mit Freunden oder Verwandten einzugehen, vermuten die Forschenden.
Mehr Interesse an Konflikten als an Futter
Aber wie wichtig sind uns solche Informationen wirklich? Im zweiten Experiment konnten sich die Teilnehmenden zwischen einem Video mit sozialen Interaktionen oder einer Belohnung - in Form von Futter für die Affen und Murmeln für die Kinder - entscheiden. "Wir fanden heraus, dass Affen und jüngere Kinder signifikant mehr Zeit bei der Box mit den Videos verbrachten als außerhalb", heißt es in der Studie.
Bemerkenswerterweise zeigte sich dabei ein Geschlechter- und Altersunterschied. Während jüngere Kinder und männliche Schimpansen stark an sozialen Informationen interessiert waren, verbrachten ältere Kinder und weibliche Schimpansen weniger Zeit mit diesen Videos.
Hier ist dem Forschungsteam zufolge allerdings zu beachten, dass die Videos für Schimpansen Konflikte zwischen Artgenossen zeigten: Eben jene sozialen Konflikte könnten für männliche Schimpansen im Vergleich zu weiblichen besonders lohnend und wichtig sein, "vielleicht weil Männchen eher in Konflikte verwickelt sind", schreiben die Autorinnen und Autoren. "Weibliche Schimpansen scheuen in der Regel direkte körperliche Auseinandersetzungen und zeigen ein geringes Maß an Aggressivität, was erklären könnte, warum sie es vermeiden, diese Videos direkt anzusehen."

Darüber hinaus gebe es weitere Einschränkungen: Zum einen seien Schimpansen weniger vertraut mit der Nutzung von Tablets und Bildschirmen als Kinder und zum anderen unterschied sich der Inhalt der gesehenen Videos. Während die Kinder Videos von unbekannten Personen sahen, betrachteten die Schimpansen Clips von vertrauten Artgenossen. Dies könnte das Seh-Verhalten ebenso beeinflusst haben wie die Tatsache, dass in der Studie erwachsene Schimpansen mit jüngeren Kindern verglichen wurden, wodurch altersbedingte Unterschiede unberücksichtigt blieben. Das Team will daher in künftigen Arbeiten eine größere Teilnehmerzahl und auch erwachsene Menschen beobachten.
Ist Streit spannender als harmonisches Spielen?
Im letzten Experiment untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ob Kinder und Schimpansen mehr Interesse an positiven oder an negativen sozialen Interaktionen haben.
Bei den Kindern zeigte sich ein Unterschied zwischen den Geschlechtern: Mit zunehmendem Alter interessierten sich die Jungen mehr für negative soziale Interaktionen wie Konflikte. Die Mädchen bevorzugten hingegen positive Szenen wie gemeinsames Spielen. "Die unterschiedlichen Vorlieben bei Kindern hängen wahrscheinlich mit unterschiedlichen sozialen Mustern zusammen", vermuten die Autorinnen und Autoren. "Jungen und Männer waren lange gezwungen, sich stärker mit körperlichen Konflikten zu befassen, als Mädchen und Frauen." In der Schimpansengruppe dagegen waren keine Präferenzen zu beobachten.
Insgesamt zeige die Studie, wie tief soziale Neugier in unserer Entwicklung und Evolution verankert ist, so das Forschungsteam: "Zusammengenommen deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass soziale Neugierde früh in der menschlichen Entwicklung auftritt und mit einem unserer beiden nächsten lebenden Verwandten, den Schimpansen, geteilt wird."