Sie zischen mit bis zu 45 km/h über Blumenwiesen, Gärten und Felder hinweg, schlagen wahnwitzige Haken, bleiben dann abrupt in der Luft stehen – und gelten deshalb als Akrobaten der Luft: Schwebfliegen. Vielen sind die kleinen, kunstvoll dahinschwirrenden Wesen ein vertrauter Anblick, Insekten mit gestreiftem Hinterleib, die an Bienen oder Wespen erinnern, aber nicht stechen. Dabei haben sie weit mehr zu bieten. Sie zählen zu den besonders wichtigen Bestäubern der Erde. Geschätzt rund 70 Prozent unserer Nutzpflanzen profitieren von ihnen, was einem Gegenwert von rund 300 Milliarden Euro pro Jahr entsprechen soll. Und Forschende beginnen nach und nach erst zu entdecken, wie viel Potenzial sonst noch in ihnen steckt.
Gut 6000 Arten von Schwebfliegen haben Taxonomen bisher weltweit beschrieben, allein in Deutschland existieren vermutlich mehr als 450. Ihr Nutzen ist enorm: Erwachsene Tiere ernähren sich wie Bienen von Nektar und Pollen und bestäuben dabei Gewächse. Ihre Larven aber fressen Schädlinge oder zersetzen organisches Material – das tut die Bienenbrut nicht. Die Effizienz bestätigen sogar wissenschaftliche Beobachtungen: Eine Larve der Hainschwebfliege vertilgt rund 400 Blattläuse, im Laborversuch sogar die doppelte Menge. Für Landwirte bedeutet das: Sie können den Einsatz von Pestiziden reduzieren. Und für Ökosysteme zahlt sich die Existenz der Flugkünstler gleich zweifach aus. Denn aus dem Räuber wird später eben ein Bestäuber.
Über den Himmel Europas zieht eine gewaltige Biomasse: Schwebfliegen auf Wanderschaft
Hinzu kommt ein Talent, das Bienen fehlt: ihre Wanderungen über große Distanzen. Jedes Jahr ziehen Abermilliarden Schwebfliegen und damit eine gewaltige Biomasse über Europa hinweg, ein Strom von Kerbtieren am Himmel. Die Meister der Langstrecke transportieren Pollenkörner aus dem Norden nach Südeuropa oder Afrika und tragen andere im Bordgepäck wiederum zurück an den Ursprungsort der Reise. Solche Wanderungen fördern den genetischen Austausch zwischen Biotopen, die durch den Eingriff des Menschen voneinander isoliert worden sind, und sie helfen so auch bei der Anpassung an den Klimawandel.
Doch die Schwebfliegen stehen unter Druck. Studien aus den Niederlanden und Deutschland etwa zeigen drastische Rückgänge – in Holland sank die Artenvielfalt in vier Jahrzehnten teils um fast die Hälfte. Im Süden Deutschlands zählten Forschende 2021 die Zahl wandernder Schwebfliegen am Himmel und verglichen sie mit Daten aus den 1970er-Jahren. Sie verzeichneten einen Verlust an Individuen um bedrohliche 97 Prozent.
Ihre Existenz ist bedroht – doch wir könnten den Akrobaten der Lüfte auf verblüffend einfache Weise helfen
Die Ursachen ähneln jenen des Bienensterbens: Pestizide, intensive, industrielle Landwirtschaft, Versiegelung von Böden, insgesamt der Verlust an Biotopen. Nur trifft es Schwebfliegen oft noch härter. Während Bienen beispielsweise in Städten erstaunlich gut zurechtkommen, sind Schwebfliegenlarven in der Klemme. Weil sie auf Spezielles angewiesen sind: etwa auf Totholz, Kompost oder vermodernde Pflanzenreste – Dinge, die in klinisch aufgeräumten Parks und Gärten eher selten einen Platz haben. Wo Honigbienenvölker massenhaft angesiedelt werden, können sie zudem Wildbestäuber verdrängen und gar Krankheiten übertragen. Im Teide-Nationalpark auf Teneriffa, Kanarische Inseln, dokumentierten Forschende eine erhebliche Dezimierung von Wildinsekten in nur drei Jahren, nachdem gut 2700 Bienenstöcke aufgestellt worden waren.
Gleichzeitig wächst die Chance, die öffentliche Aufmerksamkeit auf Schwebfliegen zu lenken – und ihre Dienste für die Landwirtschaft zu erschließen. In Almería, Spanien, arbeitet ein Start-up daran, zwei Spezies der Insekten industriell zu züchten. Dort reifen Larven in Massen heran; später heruntergekühlt, verlangsamt sich ihre Entwicklung, sodass sie verschickt werden können. Sie sollen eines Tages im großen Stil in der Landwirtschaft zum Bestäubungseinsatz kommen, etwa auf Äckern mit Melonen, Erdbeeren oder Avocados.
Warum sich der Aufwand lohnen könnte, zeigt nach Angaben des Start-ups ein Beispiel mit Avocados: Wo Schwebfliegen zusätzlich zu Honigbienen auf Feldern mit den Beerenfrüchten freigesetzt wurden, stieg der Ertrag. Bestäubung ist eine komplexe Angelegenheit – Gewächse profitieren, wenn unterschiedliche Insekten sie besuchen. Schwebfliegen lassen sich außerdem, anders als Honigbienen oder Hummeln, auch kaum von Kälte, Regen oder Wind abhalten. Sie rackern weiter, wo andere längst das Feld räumen. Weniger behaart als Honigbienen, tragen Schwebfliegen zwar weniger Pollen pro Besuch davon, doch sie zeigen sich eben als robuste Arbeitstiere.
Was jeder, der einen Garten besitzt, für das Überleben der emsigen Flugakrobaten tun könnte, ist erstaunlich einfach: Abgefallene Äste liegen lassen, alte Bäume erhalten, kleine Wasserstellen anlegen, Wildblumen säen. Schon ein verrottender Holzklotz zwischen den Beeten kann zum Kinderzimmer für ihre Larven werden. Wer ihnen Raum gibt, gewinnt im Gegenzug Erntehelfer, Schädlingsbekämpfer und winzige Gärtner hinzu, die beinahe unermüdlich arbeiten – oft unbemerkt, aber unverzichtbar.