Wale sind ausgesprochen kommunikativ: Zahnwale unterhalten sich mit Artgenossen über kurze Klicklaute und Pfiffe, während Bartenwale tiefe, langgezogene Töne erzeugen, die an Gesang erinnern. Dabei entwickeln sie ihre Gesänge weiter, verändern Motive und übernehmen sogar "Hits" von anderen Populationen.
Besonders kreativ sind die Gesänge offenbar in Fortpflanzungsgebieten – das vermuten Forschende der Gruppe Ozeanische Akustik am Alfred-Wegener-Institut zumindest für die zu den Bartenwalen zählenden Grönlandwale (Balaena mysticetus). Wenn diese besonders abwechslungsreich singen und unterschiedliche Lieder in ihr Repertoire aufnehmen, befinden sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Fortpflanzungsgebiet, schreiben sie in einer Studie im Fachmagazin "Scientific Reports". Insgesamt zwölf verschiedene "Songs" konnten die Forschenden in einem solchen Gebiet nordwestlich von Spitzbergen aufzeichnen.
Um den Gesang der bis zu 70 Tonnen schweren Kolosse aufzunehmen, nutzten die Forschenden Hydrophone zur Aufzeichnung von Unterwassergeräuschen. Diese platzierten sie in zwei Gebieten der Framstraße, einer Wasserstraße zwischen Grönland und Spitzbergen: nordwestlich von Spitzbergen, wo das Wasser fast ganzjährig von Eis bedeckt ist, und östlich der Framstraße in einer Gegend, die fast durchgängig eisfrei ist. Dies soll Rückschlüsse auf das Vorkommen und das Verhalten der Tiere in Gebieten mit unterschiedlichen Meereisbedingungen ermöglichen – und zeigen, welche Auswirkungen der Verlust ihres Lebensraums für sie hat.
"Beobachtungen lassen vermuten, dass sich die Population vor allem im Meereis aufhält, von der Eiskante bis zu mehrere Hundert Kilometer tief ins Packeis, wo die Tiere kleine Öffnungen des Meereises als Atemlöcher nutzen", sagt Studien-Erstautorin Marlene Meister in einer Mitteilung des Instituts. Die Audioaufnahmen bestätigen das: Während in der eisfreien Region lediglich kurze Rufe aufgezeichnet wurden, kam es in der von Meereis bedeckten Region zwischen Oktober und April zu abwechslungsreichen Gesängen.
Die Forschenden analysierten die Gesänge mithilfe einer KI und unterteilten sie dann in Abschnitte mit hoher Ähnlichkeit, in einzelne Motive also. Im Verlauf der Zeit spürten sie dabei insgesamt zwölf verschiedene Songs auf, die jedoch je nach Jahreszeit unterschiedlich häufig erklangen: Ab Oktober nahm die Anzahl pro Monat zu und erreichte im Februar mit acht gleichzeitig erklungenen Songs ihren Höhepunkt.
Großes Songrepertoire könnte Weibchen anlocken
"Eine mögliche Erklärung ist, dass im Februar mehr Tiere in der Region anwesend waren und jeweils unterschiedliche Songs produzierten, sodass die Diversität zunahm", sagt Meister. "Auch denkbar ist, dass einzelne Tiere im Februar vielfältiger gesungen haben, was ihnen einen reproduktiven Vorteil verschaffen könnte, etwa wenn Weibchen diejenigen Männchen bevorzugen, die ein besonders großes Repertoire haben", so Meister. Beide Erklärungsansätze deuten in dieselbe Richtung: Die Region ist in den Wintermonaten ein hochfrequentiertes Fortpflanzungsgebiet.
Da in der anderen, dauerhaft eisfreien Region keine Walgesänge aufgezeichnet wurden, vermuten die Forschenden, dass die Tiere diesen Teil der Framstraße lediglich durchqueren – ohne sich dort zur Fortpflanzung zu treffen.
Das Wissen über die Fortpflanzungsgebiete und Wanderrouten der Grönlandwale könnte dabei helfen, möglichst wirksame Schutzmaßnahmen für die Tiere zu etablieren. Denn von ursprünglich 33.000 bis 65.000 Tieren in der Population um Spitzbergen sind heute nur noch wenige Hundert Individuen übrig. Einst war es der Walfang, der die Population beinah auslöschte. Inzwischen macht der Mensch den Walen zu schaffen, indem er den Klimawandel anfeuert und somit auch den Rückgang des arktischen Meereises beschleunigt, wodurch sich der Lebensraum der Giganten unwiderruflich verändert.
Denn unter dichtem Packeis finden die Grönlandwale nicht nur Nahrung, sondern auch Schutz vor räuberischen Orcas. "Verschwindet das Eis, verliert die Population einen zentralen Lebensraum", sagt Meister. "Für die Tiere ist es vermutlich kaum möglich, weiter nach Norden auszuweichen, weil sie dort nur sehr begrenzt Nahrung finden." Ein weiterer negativer Nebeneffekt des schwindenden Meereises: Die Region kann besser von Schiffen befahren werden, die für Lärm- und Ölverschmutzung sorgen.
Interessierte können dem Sound des Ozeans im Portal OPUS der Arbeitsgruppe Ozeanische Akustik lauschen. Und sich selbst davon überzeugen, dass die Gesänge der Wale, das Rufen der Robben und das Knarzen der Eismassen viel schöner klingen als tosende Schiffsschrauben.