Evolution Winziges Fossil enthüllt: Spinnen entwickelten sich wohl im Meer

Ihr Gehirn macht Spinnen zu äußert erfolgreichen Räubern. Erstaunlicherweise ähnelt es dem Gehirn eines ausgestorbenen Meereslebewesens
Ihr Gehirn macht Spinnen zu äußert erfolgreichen Räubern. Erstaunlicherweise ähnelt es dem Gehirn eines ausgestorbenen Meereslebewesens
© Lukjonis / Adobe Stock
Ein 500 Millionen Jahre altes Meereslebewesen könnte einer Studie zufolge die Evolutionsgeschichte der Spinnen auf den Kopf stellen. Der Schlüssel zu ihrem Ursprung liegt dabei im Gehirn der Tiere 

Sie krabbeln über den Waldboden, lauern auf Gräsern und Sträuchern, verstecken sich in Totholz und Felsspalten oder spinnen ihre Netze in Kellern, Garagen und auf Dachböden: Spinnen sind extrem anpassungsfähig, besiedeln mit Ausnahme der Antarktis alle Kontinente und haben sich an nahezu jeden Lebensraum angepasst. Zumindest an Land: Von den mehr als 52.000 bekannten Spinnenarten lebt nur eine einzige – die Wasserspinne – dauerhaft unter Wasser. Deshalb ging die Wissenschaft bislang davon aus, dass Spinnen echte Landlebewesen sind. Und dass sich die Tiere folglich erst entwickelten und diversifizierten, nachdem ihr gemeinsamer Vorfahr das Land erobert hatte. 

Doch ein winziges Fossil stellt diese Annahme nun auf den Kopf. Es legt nahe, dass Spinnentiere sich womöglich bereits im Wasser entwickelt haben. Das Tierchen, dem diese revolutionäre Erkenntnis zu verdanken ist, trägt den Namen Mollisonia symmetrica, hat einen Panzer, lebte während des Zeitalters des Kambriums vor 540 bis 485 Millionen Jahren und ist folglich längst ausgestorben. Und: Es lebte im Meer.

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Bislang waren Forschende davon ausgegangen, dass es zu einer Gruppe von Vorfahren einer bestimmten Gruppe von Gliederfüßern (Arthropoden) gehörte, aus der unter anderem die heutigen Pfeilschwanzkrebse hervorgegangen sind. Doch als Forscher aus den USA und Großbritannien das versteinerte Gehirn eines besonders gut erhaltenen Exemplars von Mollisonia symmetrica untersuchten, stellten sie fest, dass dessen Gehirn nicht wie erwartet wie bei den Pfeilschwanzkrebsen organisiert ist, sondern wie bei den modernen Spinnen und deren Verwandten.

In ihrer im Fachmagazin "Current Biology" veröffentlichten Studie rekonstruierten die Forscher aus dem Fossil das Gehirn und das Nervensystem von Mollisonia. Dabei stellten sie fest, dass das Tier ein unsegmentiertes, nach hinten gefaltetes Gehirn mit kurzen, zangenartigen Nerven hatte, das an die Fangzähne von Spinnen erinnert. Außerdem ähnelt sein prosomales Nervensystem, das die Bewegung von fünf Paaren segmentaler Gliedmaßen steuert, dem von heute lebenden Spinnen und Skorpionen.

Mithilfe einer statistischen Analyse schlossen die Studienautoren aus, dass die Ähnlichkeiten das Ergebnis einer zufälligen parallelen Evolution sind. Sie folgern daraus, dass sich Spinnentiere (Arachnida), zu denen neben Spinnen auch Skorpione und Milben zählen, einst schon im Ozean entwickelt haben müssen – und nicht wie bislang angenommen an Land.

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Flinke Räuber trieben Insekten in die Luft

Das Gehirn von Spinnentieren und dem Meereslebewesen Mollisonia ist außerdem umgekehrt angeordnet als das von Insekten und Krebstieren wie dem Pfeilschwanzkrebs. Das könnte eine entscheidende evolutionäre Entwicklung sein, denn Studien deuten darauf hin, dass durch diese umgedrehte Anordnung Abkürzungen zwischen den neuronalen Kontrollzentren und den darunterliegenden Schaltkreisen entstehen – und diese die erstaunliche Bewegungsvielfalt der Spinnen ermöglichen. Die Anordnung sorgt somit für Schnelligkeit bei der Jagd und für Geschicklichkeit beim Spinnen von Netzen und Fangen von Beute. Das macht die Spinnentiere zu den erfolgreichsten Raubtieren unter den Gliederfüßern.

Als die ersten Mollisonia-ähnlichen Spinnentiere das Meer verließen und das Land unsicher machten, könnten sie deshalb auch zu einer anderen Entwicklung beigetragen haben: dazu, dass Insekten Flügel entwickelten, um vor den Spinnentieren zu flüchten. "Die Fähigkeit zu fliegen, verschafft einen erheblichen Vorteil, wenn man von einer Spinne verfolgt wird", sagt Studienautor Nicholas Strausfeld in einer Mitteilung der University of Arizona. "Doch trotz ihrer Mobilität in der Luft werden Insekten immer noch zu Millionen in den exquisiten Seidennetzen der Spinnen gefangen."

ftk