Licht lockt Beute an – ein ebenso simples wie erfolgreiches Konzept im Tierreich. Der Tiefsee-Anglerfisch nutzt es, um in den finsteren Tiefen der Meere kleine Fische und Krebse anzuziehen, auch der Leuchtkalmar sendet Lichtsignale aus, um Beutefische erst zu ködern und dann zu verschlingen. Doch nur wenige Raubtiere sind mit der Fähigkeit zu leuchten gesegnet, schließlich sind evolutionäre Investitionen in die eigenen Biolumineszenz kostspielig und energieaufwändig. Und so gilt: Wer nicht leuchten kann, muss schlau sein.
Das trifft zumindest auf die Spinne Psechrus clavis zu, eine nachtaktive Räuberin, die in der Dunkelheit durch die subtropischen Wälder Ostasiens krabbelt. Ihre Leibspeise: Diaphanes lampyroides, eine Glühwürmchenart, die dank Biolumineszenz kontinuierliche Leuchtsignale aussendet – nicht um Beute anzulocken, sondern um paarungswillige Artgenossen auf sich aufmerksam zu machen.
Und genau das, beobachteten Forschende der Tunghai-Universität in Taiwan, macht sich die Spinne zu nutzen. Hat sich ein Glühwürmchen in ihrem Netz verfangen, gönnt sich die Spinne den Snack nicht fangfrisch. Stattdessen lässt sie das Glühwürmchen weiter zappeln und leuchten – um als Köder noch mehr Insekten in die tödliche Falle zu locken. Die Forschenden, die ihre Beobachtung im "Journal of Animal Ecology" veröffentlichten, sahen sogar, wie die Spinne von Zeit zu Zeit zum Netz zurückkehrte, um nach ihrem Gefangenen zu sehen.
Um zu überprüfen, ob es sich bei dem beobachteten Verhalten um eine ausgeklügelte Jagdstrategie handelt oder nur um Zufall, führten die Forschenden ein Experiment durch. In einer Nadelbaum-Plantage platzierten sie in einigen Netzen von Psechrus clavis kleine LED-Lampen, die Glühwürmchen ähneln, während andere Netze leer blieben. Und tatsächlich: In den mit leuchtenden Netzen fanden sich anschließend dreimal so viele Beutetiere wie in den Kontrollnetzen – und sogar zehnmal so viele, wenn man nur die gefangenen Glühwürmchen betrachtet. Weil die meisten der angelockten Glühwürmchen männlich waren, gehen die Forschenden davon aus, dass sie die Lampen mit Weibchen auf Paarungssuche verwechselten.
Spinne unterscheidet nach Nützlichkeit der Beute
"Dieses Verhalten ist ein seltenes Beispiel dafür, dass ein Raubtier das Paarungssignal seiner Beute zu seinem eigenen Vorteil nutzt", schreiben die Forschenden in einer Mitteilung der "British Ecological Society". "Die Studie wirft ein neues Licht auf die Art und Weise, wie nachtaktive Raubtiere es schaffen, ihre Beute anzulocken", sagt I-Min Tso, der Hauptautor der Studie. "So bietet sie eine einzigartige Perspektive auf die Komplexität der Interaktionen zwischen Raubtieren und Beutetieren."
Videoaufnahmen des Experiments belegen, dass die Spinne gezielt nur Glühwürmchen am Leben lässt, die dann noch etwa eine Stunde lang Leuchtsignale aussenden. Motten hingegen, die nicht als Köder taugen, werden sofort gefressen. "Die unterschiedliche Behandlung der Beute deutet darauf hin, dass die Spinne anhand bestimmter Signale zwischen den verschiedenen Beutearten unterscheiden und angemessen reagieren kann", sagt I-Min Tso. "Wir vermuten, dass es die biolumineszierenden Signale sind, anhand derer die Spinne die Glühwürmchen identifizieren und ihr Verhalten entsprechend anpassen kann."
Die zusätzliche Energie und Nährstoffe, die die Spinne aus der mühelos angelockten Beute zieht, investiert sie anschließend äußerst geschickt: in glänzende Seidenfäden, die das Mondlicht reflektieren und damit zum Lockmittel für all jene Insekten werden, die sich von der Biolumineszenz der Glühwürmchen nicht beeindrucken lassen.
Übrigens: Selbst der berühmte Tiefsee-Anglerfisch leuchtet am Ende nur dank eines Tricks – und der Hilfe anderer Organismen. In seiner Laterne sitzen leuchtende Bakterien.