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Wegen des Klimawandels Ältestes Moos der Welt steht vor dem Aus – nach mehr als 165 Millionen Jahren

Takakia ist ein unscheinbares Pflänzchen: Die feinen Triebe mit den Blättchen bilden nicht mehr als grüne Flecken im Hochgebirge
Takakia ist ein unscheinbares Pflänzchen: Die feinen Triebe mit den Blättchen bilden nicht mehr als grüne Flecken im Hochgebirge
© Prof. Xuedong Li
Im Hochgebirge trotzt eine erstaunliche Pflanze den harschen Bedingungen: Takakia, ein Moos, das bereits vor mindestens 165 Millionen Jahren auf der Erde wuchs. Doch der Klimawandel bedroht das lebende Fossil

Es sieht ziemlich unspektakulär aus, bildet kleine grüne Polster, kaum einen Zentimeter dick. Ein Moos eben. Und doch stellt Takakia eine botanische Sensation dar: Die Art ist ein lebendes Fossil, die älteste Spezies unter allen bekannten Bryophyten (so werden Moose wissenschaftlich genannt). Die früheste Takakia-Versteinerung hat ein Alter von nicht weniger als 165 Millionen Jahren – damals, im Erdzeitalter des Jura, stapften noch Dinosaurier über den Superkontinent Pangäa.

Obendrein ist das so unscheinbare Pflänzchen ein Überlebenskünstler par excellence: Heute findet man Takakia in eisigen Höhen auf dem tibetanischen Hochplateau, in Japan und Nordamerika. Dort trotzt das Moos den Extremen: So harrt es etwa im Himalaya acht Monate im Jahr unter schwerer Schneedecke aus. Und erträgt die restlichen vier Monate die pralle Hochgebirgssonne mit intensiver UV-Strahlung, die erbarmungslos auf seine zarten Blättchen prasselt.

Über zehn Jahre haben Forschende das robuste Pflänzchen und seine Umwelt untersucht

Um mehr über das erstaunliche Gewächs herauszufinden, haben Forschende in einem zehn Jahre dauernden Projekt einige der höchsten Gipfel der Welt bestiegen. Haben jenen unwirtlichen Lebensraum auf 4000 Metern untersucht, in dem das Moos gedeiht. Haben erstmals sein Erbgut sequenziert. Eine Vielzahl von Genen analysiert, die vom Wandel der Zeiten und hoher Flexibilität zeugen. Und herausgefunden: Takakia, das lebende Fossil, wird möglicherweise in absehbarer Zukunft schlicht zum Fossil werden. Denn jenes taffe Pflänzchen droht nach all den Jahrmillionen auszusterben.

Im Hochgebirge prasselt erbgutschädigende UV-Strahlung auf das Moos. Doch die Pflanze hat genetische Reparaturmechanismen entwickelt
Im Hochgebirge prasselt erbgutschädigende UV-Strahlung auf das Moos. Doch die Pflanze hat genetische Reparaturmechanismen entwickelt
© Michal Rössler

Und das, obwohl das Moos schon so viele Veränderungen er- und überlebt hat auf seiner langen Reise durch die Erdgeschichte. Es reckte seine Sprösschen bereits 100 Millionen Jahre in die Urzeitluft, bevor sich vor rund 65 Millionen Jahren sein Lebensraum dramatisch wandelte: Angetrieben durch tektonische Kräfte, schickte sich der Himalaya damals an, allmählich emporzuwachsen. Es wurde kälter und strahlungsreicher. Und Takakia hielt Schritt mit dem Wandel, was auf ein höchst flexibles Erbgut hindeutet.

"Wir haben herausgefunden, dass Takakia derzeit das Genom mit der höchsten Anzahl an schnell evolvierenden Genen ist", sagt der Pflanzenbiotechnologe Ralf Reski von der Universität Freiburg, einer der Autoren der Publikation, die im Fachblatt Cell erschienen ist. Das Moos sei auf genetischer Ebene also überaus aktiv.

Das Moos hat sich den harschen Bedingungen auf erstaunliche Weise angepasst

Im Erbgut von Takakia machten die Forschenden 27.467 proteinkodierenden Gene aus und stellten fest, dass sich die Pflanze auf erstaunliche Weise jenen Stressfaktoren angepasst hat, mit denen das raue Milieu in großen Höhen jedes Lebewesen konfrontiert. So hat sich das Moos-Genom über viele Generationen hinweg derart entwickelt, dass es rasch defekte DNA reparieren und sich so unter anderem von UV-Schäden erholen kann.

In den eisigen Höhen des Himalaya, auf 4000 Meter, gedeiht Takakia. Das robuste Pflänzchen ist ein lebendes Fossil
In den eisigen Höhen des Himalaya, auf 4000 Meter, gedeiht Takakia. Das robuste Pflänzchen ist ein lebendes Fossil
© Dr. Ruoyang Hu

In dem Zusammenhang ist ein Phänomen besonders erstaunlich: Obwohl sich das Erbgut von Takakia in der sich wandelnden Welt dramatisch verändert hat, sieht das Pflänzchen äußerlich fast genauso aus wie vor vielen Jahrmillionen. "Üblicherweise sollte man denken, dass sich bei einer Vielzahl von Mutationen im Genom irgendwann auch die Form ändert," sagt Reski. Takakia beweist das Gegenteil und mag zu einem neuen Forschungsfeld inspirieren – das der Evolution sich verändernder Genome bei gleichbleibender Morphologie.

Was sich derzeit wieder einmal wandelt, ist die Umwelt, in der Takakia wächst. Die Temperaturen im Himalaya steigen stetig, die Gletscher auf dem Plateau schmelzen rasch. Schnee bleibt weniger lange liegen. Und so beobachteten die Forschenden, dass das Moos einer höheren UV-Strahlung ausgesetzt ist als je zuvor. Ja, die erbgutschädigende Strahlung ist, wie Labor-Untersuchungen zeigten, inzwischen sogar so stark, dass andere Pflanzen, die an harsche Umgebungen angepasst sind, kurzerhand absterben.

Die Veränderungen durch den Klimawandel schreiten selbst für Takakia zu schnell voran

Noch sprenkelt Takakia manchen Hochgebirgsboden mit seinen grünlichen Flecken. Doch tragischerweise ist das robuste Moos trotz seiner Flexibilität offenbar nicht imstande, mit den allzu raschen Veränderungen durch den menschengemachten Klimawandel mitzuhalten.

Selbst die Experten tun sich immer schwerer, Takakia auf dem Gipfel der Welt zu finden. Laut ihrer Studie gehen die Moos-Vorkommen in Tibet jedes Jahr um 1,6 Prozent zurück.

Ende dieses Jahrhunderts, so prognostizieren die Autoren, wird der Lebensraum von Takakia auf gerade einmal 1000 bis 1500 Quadratkilometer geschrumpft sein. Wahrscheinlich wird die Spezies keine 100 Jahre überleben.

Daher bemühen sich die Forschenden derweil, Takakia-Kulturen im Labor zu züchten und die Moose an Versuchsstandorte in Tibet zu verpflanzen. Einige der kultivierten Gewächse, das zeigt sich inzwischen, scheinen draußen zu gedeihen. Es könnte der Beginn einer Erholung sein. Oder zumindest ein Aufschub des Aussterbens.

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