Sie gehören zu den ersten Boten des Frühlings: Schneeglöckchen recken ihre länglichen Blätter oft schon im Februar durch die schmelzende Schneedecke. Möglich macht das ihr unterirdischer Energiespeicher, die Zwiebel. In ihr speichert die Pflanze jeweils im vorangehenden Frühling Nährstoffe und Wasser, wenn die Blüten und Blätter verwelken.
Weltweit gibt es ungefähr 20 Arten von Schneeglöckchen, die zu den Amaryllisgewächsen (Amaryllidaceae) gehören. Aber nur eine von ihnen ist in Mittel- und Südeuropa heimisch: Galanthus nivalis, das Kleine Schneeglöckchen – das die meisten Menschen aus Gärten, Parks oder vom Friedhof kennen. Tatsächlich ist nicht leicht zu unterscheiden, ob es sich bei Pflanzen in der Natur wirklich um (in Deutschland streng geschützte) Wildpflanzen handelt, oder um so genannte Gartenflüchtlinge, die zum Beispiel mit Gartenabfällen in die Natur gelangt sind. Schon vor etwa 500 Jahren holten sich Blumenliebhaber*innen die Frühlingsboten in ihre Gärten und Parkanlagen.
Heute ist die Pflanze so beliebt, dass "Galanthophile", wie sich die Anhänger des Schneeglöckchen-Kults nennen, für neue Züchtungen mittlerweile weit mehr als 2000 Euro berappen. Rund 800 Sorten soll es heute geben, davon 500 registrierte. Besonderes Augenmerk legen galanthophile Sammlerinnen und Sammler auf außergewöhnliche Blütenformen, darunter gefüllte, und Muster auf den Blütenblättern.
Doppelte Verbreitungs-Strategie: Tochterzwiebeln und Ameisen
Wo sie noch wild vorkommen, bevorzugen Schneeglöckchen lehmhaltige Au- und Bruchwälder mit feuchten und nährstoffreichen Böden. Dass sie meist in größeren Gruppen stehen, hat einen einfachen Grund: Aus ihrer Zwiebel bilden sich Tochterzwiebeln, sodass die Blüten stellenweise dicht gedrängt stehen. Bei der Ausbreitung setzt die Pflanze aber auch noch auf eine weitere, weitaus raffiniertere Strategie: Ameisen.
Die Samen des Schneeglöckchens enthalten proteinhaltige Teile, so genannte Elaiosomen, die die Insekten als willkommenen Nahrungsvorrat in ihre Nester schleppen. Den eigentlichen Samen befördern die Ameisen wieder vor das Nest – wo die Pflanze eine neue "Kolonie" gründen kann.
So bezaubernd unschuldig das Pflänzchen daherkommt: Es enthält Alkaloide und ist in allen Teilen giftig. Genau das allerdings macht es für die Medizin interessant. So verwenden Menschen im Kaukasus schon seit langem eine Zubereitung aus Schneeglöckchen als Hausmittel gegen altersbedingte Gedächtnisschwäche – eine Wirkung, die von der modernen Pharmakologie bestätigt wird: Medikamente mit dem Alkaloid Galantamin, das in Schneeglöckchen und Gelben Narzissen vorkommt, können den Verlauf einer Alzheimer-Demenz verlangsamen.
Schon im März ist die Zeit der Schneeglöckchen vorbei. Andere Frühblüher ziehen nun die Blicke auf sich, und unbemerkt welken die Pioniere des Vorfrühlings – um im nächsten Jahr wieder unter den Ersten zu sein.